Audiopädie: Mut zur Stille

Weißhaarige Frau horcht auf Musik der Rasseln in ihrer Hand
Foto: C. Fischer

Ständig sind wir von Geräuschen umgeben, werden angefüllt mit Schall, Klang und Tönen, mit mehr oder minder willkommener Musik bzw. schlichtweg Lärm. Letzterer begegnet uns in Bus und Bahn oder bei der Arbeit, verfolgt uns aus dem Kaufhaus bis in die eigenen vier Wände, wo der Kühlschrank surrt, die Nachbarn streiten und Flugzeuge über den Dächern kreisen. Hören wir all das, was da permanent durch unsere Sinnesorgane rauscht, tatsächlich? Was gelangt nicht nur ins Ohr, sondern bleibt im Kopf, erreicht vielleicht sogar unsere Herzen?

Echtes Horchen, das mit großer Aufmerksamkeit einhergeht, stellt einen sozialen Prozess dar, bei dem wir uns zu etwas oder jemandem in Beziehung setzen. Er braucht Zeit und Stille – „kostbare Güter und wichtige Qualitäten, die von allein heutzutage nicht mehr anzutreffen sind“, schreibt Reinhild Brass in ihrem Grundlagenwerk „Audiopädie – Ermutigung für eine neue Pädagogik“. Als Lehrerin an der Widar Schule in Wattenscheid entwickelte sie vor diesem Hintergrund in den 1980er-Jahren ein Konzept für den Musikunterricht, das mittlerweile sogar in Japan zum Einsatz kommt.
Als Grenzgängerin zwischen Kunst, Pädagogik und Therapie will die Audiopädie durch Bewegung, Improvisation und Momente der Ruhe das (Zu-)Hören vertiefen. In der Stille lernen Kinder wie Erwachsene, auf die Geräusche ihrer Umgebung mehr zu achten und diese sowie die eigene körperlich-seelische Verfasstheit zu spüren. „Das macht vielen zunächst Angst“, weiß Konstanze Schuberth. Je mehr man sich aber darin übe, umso mehr könne Stille uns auch wieder in Einklang mit uns selbst und unserer Umwelt bringen.

Schuberth bietet an der Akademie für Waldorfpädagogik in Mannheim einen Zertifikatskurs für Audiopädie an, der sich an angehende und praktizierende LehrerInnen richtet. In der Fortbildung erfahren sie u. a., wie sich Sinnesaktivitäten nicht nur mit Gongs, Stäben oder Triangeln anregen lassen, sondern auch wie durch klangliches Ergründen von Alltagsgegenständen künstlerische Initiativkraft und Gemeinschaft entstehen. Zum erweiterten Instrumentarium des inklusiven Ansatzes gehören unterschiedlichste Materialien wie Holz, Stein, Papier oder Wasser und die menschliche Stimme: „Diese ist wie das Gehör für den Lehrberuf essenziell“, betont die Mannheimer Dozentin. Schließlich sehen sich PädagogInnen jeden Tag mehrere Stunden enormen Stimmanforderungen und Geräuschpegeln ausgesetzt. Von entsprechend zentraler Bedeutung sei es, in der Ausbildung von LehrerInnen über Sprache und Gesang die Stimme zu stärken sowie Hörhygiene zu fördern, damit diese auch nach Jahren im Schuldienst noch die Stimmung im Klassenraum fein erfassen und sensibel darauf reagieren können sowie die Chance haben, „Hör-Räume“ für die Kinder zu schaffen.