Beziehungen gestalten: Eurythmiepädagogik
Das vielleicht ungewöhnlichste Schulfach der Welt ist sehr viel mehr als „Namentanzen“, erklärt Ulrike Langescheid, Eurythmieprofessorin mit Schwerpunkt Eurythmiepädagogik an der Alanus Hochschule. Denn Eurythmie schult nicht nur körperliche Geschicklichkeit und Koordination, sie stärkt auch die Willenskraft und hilft dabei, sich selbst zur Umgebung in Beziehung zu setzen.
Eurythmie gilt vielen als das ungewöhnlichste Schulfach der Welt. Klischees wie die Sache mit dem „Namentanzen“ sorgen immer wieder für Lacher. Wie beschreiben Sie jemandem ohne Vorkenntnisse, worum es beim Eurythmieunterricht geht?
Ulrike Langescheid: Das Bewegungsfach Eurythmie basiert auf der Bewegungskunst Eurythmie. Es fördert die körperliche Geschicklichkeit und Koordination. Darüber hinaus lerne ich durch die Eurythmie aber auch, meine Impulse, seien sie seelischer oder geistiger Art, in die Tat zu bringen. Wir wissen alle, wie schwer es ist, nicht nur zu denken „Man sollte oder man müsste.“, sondern es tatsächlich zu tun! Eurythmie schafft eine Verbindung zwischen Körper, Seele und Geist. Darin liegt einer der zentralen Unterschiede zu anderen Bewegungsformen oder auch zum Sport. Außerdem ist die Eurythmie eine Beziehungsgestaltungskunst. Mit ihr üben und gestalten wir permanent unterschiedlichste Beziehungen: zu unseren Gefühlen, dem Körper, zum Raum oder auch zur Zeit. Das versuche ich den Schülern zu vermitteln.
Was macht guten Eurythmieunterricht aus?
Ulrike Langescheid: Als allererstes die gute Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen. Das ist absolut grundlegend. Ich kann methodisch noch so gut sein, wenn ich keine gute Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern habe, komme ich gar nicht dazu, meine Methoden einzusetzen. Das „Was“ ist weniger entscheidend als die Beziehung. Wenn die stimmt, kann ich mit den Kindern alles arbeiten. Mit jeder Altersgruppe.
Wie verändert sich der Eurythmieunterricht im Laufe der verschiedenen Entwicklungsstufen der Kinder und Jugendlichen?
Ulrike Langescheid: Im Kindergarten und in den ersten Schulklassen steht die Lust an der Bewegung im Vordergrund. Es gibt in der Regel keinerlei Reflexionen. Wir bewegen uns in Geschichten, in Märchen und kleinen Musikstücken, in die sie eintauchen können. In der Mittelstufe beginnt eine echte Auseinandersetzung mit der Eurythmie und ihren Gesetzmäßigkeiten. Diese Regeln finden wir in der Welt, brauchen sie aber auch in der Arbeit miteinander – das ist eine entscheidende Erfahrung in der Pubertät, in der die Jugendlichen ja auch mal anecken wollen und sollen. Dennoch können sie hier erleben, dass bestimmte Dinge nur schön sind, wenn sie richtig sind. Wichtig ist auch der Aspekt: „Ich habe meinen Platz in dem Ganzen, finde mich darin zurecht und gehe meinen Weg.“ In der Oberstufe schließlich haben die Jugendlichen die Möglichkeit, die erlernten Regeln anzuwenden, darin Gestaltungsfreiheit zu entdecken und auch selbst zu gestalten.
Nicht wenige SchülerInnen tun sich mit dem Schulfach Eurythmie schwer. Woran liegt das?
Ulrike Langescheid: In der Vergangenheit lag das sicherlich häufig an der fehlenden pädagogischen Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen, die ohne entsprechende Ausbildung unterrichtet haben. Es wäre ein großer Trugschluss zu denken, dass es beim Eurythmieunterricht um die Eurythmie geht! Das ist schwierig nachzuvollziehen für alle, denen vor allem das Künstlerische an der Eurythmie wichtig ist und die sich wünschen, dass die Schülerinnen und Schüler die Eurythmie lieben, sie schön machen. Die stoßen da an Grenzen. Denn es geht vielmehr um die Heranwachsenden! Eurythmiepädagogik bedeutet eine Umwandlung dessen, was ich mir in vier Jahren Studium erarbeitet habe. Als Lehrerin oder Lehrer muss ich es nun ein Stück weit abgeben und zur Verfügung stellen, mich auf andere Weise damit identifizieren.
Wer entscheidet sich für ein Eurythmiepädagogik-Studium? Welche Motivation erleben Sie bei den Studierenden?
Ulrike Langescheid: Unter unseren Studierenden sind natürlich häufig Waldorfschüler – darunter sogar manche, die in ihrer eigenen Schulzeit nicht viel damit anfangen konnten, aber Jahre später irgendwie wieder darauf zurückkommen. Wir haben heute aber auch Studierende, die im Internet auf die Eurythmie gestoßen sind und vorher noch nie etwas davon gehört haben. Es gibt mehr Studierende als früher, die auf ungewöhnlichen Wegen einsteigen. Die Biografien sind sehr individuell, oft geprägt von starken Suchbewegungen danach, was der passende Platz in der Welt sein könnte und der Frage, welche Mittel es braucht, die Welt positiv zu gestalten. Viele erleben die Eurythmie als etwas Heilsames – im Sozialen, auch im Individuellen und bis ins Therapeutische hinein. Das nehme ich sogar schon bei den Schülern wahr. Und es gibt häufiger als früher Studierende, die von Anfang an vorhaben, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten und an die Schulen zu gehen.
Sind Ihre Studienangebote auf diese Veränderungen eingestellt?
Ulrike Langescheid: Wir stecken gerade mitten in der Arbeit am Curriculum, um das zu überprüfen. Was brauchen und wollen die Studierenden heute wirklich, damit sie gut ausgestattet sind für ihre Aufgaben in der Welt? Da müssen wir alle paar Jahre gründlich draufschauen, weil sich die Gesellschaft inzwischen so schnell ändert – und damit auch die Fragen der Studierenden. Meine jetzigen Schüler und Studierenden sind mit ganz anderem Medienkonsum und digitalen Möglichkeiten aufgewachsen. Einerseits sind sie ständig erreichbar und auch im Kontakt, andererseits gibt es dadurch manchmal weniger oder unverbindlichere persönliche Begegnungen. Und alles hat ein ungeheures Tempo – alles kann und muss sehr schnell gehen. Das verändert die Gesellschaft und den Menschen. Zudem gibt es den Aspekt der Leibfremdheit: Wenn ich mit einem Klick so viel verändern kann, sei es auf dem Bildschirm, sei es mit einer abgesendeten Nachricht, dann ist nicht mehr viel Bewegung nötig.
Wie bereiten Sie Ihre Studierenden auf die Schulpraxis vor?
Ulrike Langescheid: Schon im Bachelorstudium haben sie insgesamt zehn bis zwölf Wochen Praktikum im Bereich Eurythmievermittlung. Das kann im sozialeurythmischen oder auch im therapeutischen Bereich sein, fünf bis sechs Wochen finden in Schulen statt. Diese Praktika werden von uns vor- und nachbereitet. Auch im Studium Generale gibt es Themen wie „Anthropologie im Kindesalter“, die wichtige Grundlagen schaffen.
Ulrike Langescheid, Jahrgang 1964, ist Eurythmistin und seit 1989 Eurythmielehrerin für alle Altersstufen von Kindergarten bis Abiturkurs an verschiedenen Waldorfschulen. Seit 2007 arbeitet sie als Dozentin für Eurythmiepädagogik an der Alanus Hochschule. Dort ist sie verantwortlich für die Basisqualifikation „Eurythmiepädagogik“ im Bachelorstudiengang „Eurythmie“ und für die pädagogischen Themen im Masterstudiengang „Eurythmie in Schule und Gesellschaft“.