„Etwas wurde angestoßen“: Eurythmiepädagogik studieren
Wo haben Sie die Eurythmie kennengelernt?
Laurens Hoschützky: Bevor ich 2015 an die Alanus Hochschule kam, hatte ich noch nie etwas von Anthroposophie, geschweige denn von Eurythmie gehört. Lediglich Waldorfschulen waren mir vage ein Begriff. Ursprünglich war meine Intention, an der Alanus den Studiengang „Philosophy, Art and Social Entrepreneurship“ zu studieren. Im Zuge des Studienangebotes nahm ich während meines ersten Semesters an einer Veranstaltung rund um das Thema „Eurythmie“ teil. Es war eine Tagung, zu der sich Eurythmisten aus verschiedenen Ländern zum Austausch in Alfter trafen und die für Eurythmie- und andere Studierende geöffnet war. Ich war gespannt auf die dreitägige Veranstaltung, bei der es sowohl theoretische als auch praktische Einheiten gab. Am Ende des Wochenendes war ich mir nicht sicher, was genau ich eigentlich die vergangenen Tage getan hatte, aber ich merkte, irgendetwas in mir wurde angestoßen. Trotzdem schob ich die Eurythmie beiseite und fokussierte mich auf mein Studium, bis ich knapp drei Jahre später wieder mit ihr in Berührung kam.
Was hat Sie dann motiviert, Eurythmiepädagogik zu studieren?
Laurens Hoschützky: Mein ursprüngliches Studium sah vor, dass ich mehrere Praxisprojekte machen sollte. Eines davon sollte ein Kunstprojekt sein, und ich entschloss mich, die Eurythmie als Medium zu wählen. Ich fragte beim Fachbereich an, ob ich das gerade begonnene erste Jahr bis zum Ende des ersten Semesters begleiten dürfte. Ich besuchte dann den normalen Unterricht als Teil des Kurses. Nach der ersten Woche waren meine anfänglichen Zweifel, ob ich wirklich mit der Eurythmie arbeiten wollte, verflogen. Mir wurde klar, dass ich mit dem Studium fortfahren möchte. Ich merkte, dass die Eurythmie in mir räsonierte, und ich hatte das Gefühl, hier ein Potenzial für meine persönliche Entwicklung zu finden. Das Konzept der Waldorfschulen, Kinder schon ab einem frühen Alter durch die Eurythmie in ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung begleitend zu fördern, begeistert mich. Ich möchte gerne meinen Beitrag dazu leisten. Selbst wenn ich später nicht mit Kindern und Jugendlichen, sondern Erwachsenen arbeiten sollte, bin ich überzeugt, dass die Eurythmie, unabhängig vom Alter, eine positive Wirkung auf die soziale wie gesundheitliche Konstitution des Ausübenden haben kann.
Wie erleben Sie das Studium? Welche Elemente finden Sie besonders hilfreich oder sinnvoll?
Laurens Hoschützky: Neben Laut- und Toneurythmie zählen für mich Musik und Sprachgestaltung zu den sinnvollsten Fächern. Beide helfen dabei, tiefer in die Welten von Sprache und Musik einzutauchen. Im Musikunterricht geschieht dies zum einen über die theoretische Seite von Musik: die Beschäftigung mit musikalischen Grundlagen, Musikgeschichte und die genaue Auseinandersetzung mit Werken verschiedener Epochen, zum anderen über die praktische Seite in Gestalt von musikalischer Gehörschulung. Beides hat mir in der Toneurythmie geholfen, mich neuen Musikstücken besser nähern zu können. Genauso verhält es sich mit der Lauteurythmie und dem Sprachgestaltungsunterricht: Indem wir uns mit verschiedensten Textformen beschäftigen und unsere Stimme als ein Instrument zu greifen lernen, entwickeln wir zunehmend ein genaueres Sprachgefühl – nicht nur dafür, was, sondern vor allem wie etwas gesagt wird. Was ich in beiden Fächern lerne, hilft mir, darauf zu lauschen, was mir in der Musik und der Sprache entgegenkommt. Deshalb sind sie eine Stütze in meiner eurythmischen Arbeit, die ich nicht missen möchte.
Eurythmiepädagogik studieren
Alfter
Auch wenn die Studierendenzahlen an der Alanus Hochschule steigen: Eurythmie ist ein Orchideenfach – aktuell gibt es 15 Studierende im ersten Jahr des Bachelorstudiums. Die Grundlage für die Eurythmiepädagogik ist das vierjährige Eurythmiegrundstudium mit Bachelor-Abschluss. Angehende Lehrkräfte können den Master an der Alanus Hochschule oder der Freien Hochschule Stuttgart machen oder alternativ den Bachelor in Leiden (Niederlande). In Stuttgart gibt es zusätzlich ein Vollzeit-Angebot, in Alfter und Leiden sind die Studiengänge als Teilzeitstudium organisiert.
Die Alanus-Studierenden haben bisher den MA im Bereich „Eurythmie in Schule und Gesellschaft“ abgelegt. Seit dem Wintersemester 2020/21 bietet die Hochschule in Kooperation mit den Bildungswissenschaften neu auch den Abschluss MA of Education „Pädagogische Praxisforschung“ mit den Schwerpunkten „Eurythmiepädagogik“ oder „Eurythmietherapie“ an.
München
Eine berufsbegleitende Ausbildung für angehende EurythmiepädagogInnen ist auch am Südbayerischen Seminar für Waldorfpädagogik und Erwachsenenbildung in München möglich. Das fünfjährige Programm schließt mit Diplom ab und berechtigt zu einem einjährigen Masterstudiengang. Zu den Förderern dieses Angebots gehört neben der SAGST auch der Bund der Freien Waldorfschulen.
Tiflis und Prag
Die weltweite Waldorfschul-Bewegung wächst dynamisch, auch und gerade in Osteuropa, wo nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an vielen Orten mit großem Engagement neue Schulen gegründet wurden. Wie in Deutschland fehlen allerdings vielerorts die pädagogischen Fachkräfte – von ausgebildeten EurythmielehrerInnen ganz zu schweigen. Eine qualifizierte Fort- und Weiterbildung vor Ort hat gegenüber dem Besuch der Ausbildungsstätten in Deutschland oder der Schweiz gleich mehrere Vorteile: So entfallen nicht nur teure Auslandsaufenthalte und mögliche Sprachbarrieren, auch kulturelle Eigenheiten des jeweiligen Landes können besser aufgegriffen werden. Eine Herausforderung im Eurythmiestudium besteht zum Beispiel darin, die Gesten mit den jeweils typischen Lauten der Landessprachen in Einklang zu bringen.
So betreibt etwa die Waldorfschule Tbilisi (Tiflis) in der Hauptstadt Georgiens ein Lehrerseminar, das seit 2018 ebenfalls eine grundständige Ausbildung für dringend benötigte EurythmielehrerInnen anbietet. Das berufsbegleitende Teilzeit-Studium dauert fünf Jahre. Auch in der tschechischen Hauptstadt Prag gibt es seit Herbst 2020 die Möglichkeit, Eurythmie zu studieren. Das Vollzeitstudium ist auf viereinhalb Jahre ausgelegt und schließt mit Diplom ab.