In der Bewegung liegt die Kraft
Der Bewegungssinn ist keineswegs nur bei körperlichen Höchstleistungen involviert, sondern bei wortwörtlich allem, was wir tun. Wie wir uns motorisch verhalten und dabei die Welt, aber auch uns selbst erleben, wirkt sich auf unsere kognitive Wahrnehmung ebenso aus wie auf unsere Gefühle.
Vom Tasten nach dem Lichtschalter beim Aufwachen über den Weg zur Arbeit, der Runde auf dem Tennisplatz oder dem Besuch im Theater bis zu dem Moment, wo wir uns abends wieder ins Bett legen – bei all diesen Tätigkeiten ist der Bewegungssinn im Spiel. Und noch mehr: Jedes Mal, wenn wir unsere Augen auf etwas richten, uns lauschend einem Gesprächspartner zuwenden, riechend und schmeckend eine Speise erfassen oder die Textur eines Stoffes erfühlen, gehen diesen Eindrücken unzählige kleinere und größere Bewegungen voraus bzw. mit ihnen einher. In den Kognitionswissenschaften weiß man heute zudem um die Bedeutung des sogenannten Embodiments (dt. Verkörperung). „Wie wir uns im Raum bewegen und wahrnehmen, bestimmt unser Denken und Vorstellungsvermögen, aber auch unsere Emotionen“, erklärt Prof. Dr. Friedrich Edelhäuser von der Universität Witten/Herdecke und führt aus: „Ein kraftvoller Gang wirkt ganz anders als eine zusammengesunkene Haltung mit hängenden Schultern – nicht nur auf andere, sondern auch auf uns selbst.“ Der Neurologe setzt sich schon seit vielen Jahren mit dem Wechselspiel zwischen Körperbewegung und Wahrnehmung auseinander. Während in den empirischen Wissenschaften bislang eine eher mechanistische Betrachtungsweise dominiert, die beide Phänomene im Sinne eines Reiz-Reaktions-Schemas erklärt, betont er die zentrale Rolle der Selbstbewegung, die er als bewussten, intentionalen Akt beschreibt, der konstitutiv für die menschliche Entwicklung ist.
Die segensreiche Wirkung der Bewegung auf unsere Gesundheit ist längst bekannt, gleichzeitig wissen wir, dass die meisten Menschen in ihren Routinen zwischen Büroalltag und Sofa zu wenig davon haben. Wie lautet hier Edelhäusers Empfehlung? „So oft wie möglich raus in die Natur zu gehen!“ Kaum etwas sei besser geeignet, die Motorik zu schulen, als ein Spaziergang über unversiegelte, abwechslungsreiche Untergründe wie den Waldboden – und vielfältigste weitere Sinneserfahrungen ergeben sich auch noch, ganz nebenbei.
Buchtipp:
Friedrich Edelhäuser: Wahrnehmen und Bewegen. Grundlagen einer allgemeinen Bewegungslehre. Mit Geleitworten von Thomas Fuchs und Christian Rittelmeyer, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2022.