Die von uns geförderten Projekte sind
unsere Fenster in die Welt.

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Achtsam, komplementär und inklusiv – Ein Projekt zur palliativen Begleitung von Menschen mit Behinderung

Hände einer jungen Frau, die die Hand einer älteren Frau halten
Foto: C. Fischer

Mit dem demografischen Wandel und den geburtenstarken Nachkriegsjahrgängen, die sich auf dem Weg in ihre letzte Lebensphase befinden, gewinnt der Tod für einen Großteil der Gesellschaft an Bedeutung. Dennoch ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben für viele immer noch ein Tabuthema. Das gilt insbesondere auch im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Diesem gesellschaftlichen Schweigen will die Europäische Senioren Akademie (ESA) – unterstützt durch die Software AG – Stiftung (SAGST) – mit einem Palliativ-Konzept für Einrichtungen der Eingliederungshilfe etwas entgegensetzen.

„Palliativ fängt da an“ erklärt Nicola Bußkönning, „wo man beginnt, über das Sterben zu sprechen.“ Sie ist Palliativbegleiterin für Menschen mit Behinderung am Benediktushof, einem der zwei Projektstandorte im Münster- und Emsland, an denen das Konzept erarbeitet wird. In dieser Einrichtung fand die erste Sterbebegleitung bereits vor rund 16 Jahren statt. Seither haben sich die Abläufe eingespielt und vieles wird vor Ort ganz intuitiv umgesetzt. „Aber“, so die zuständige Koordinatorin Monika Dohmen, „uns fehlt eine Art Leitfaden, der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sterbefall Sicherheit gibt.“

Gerade in der Nacht, wenn eine Pflege- oder Betreuungskraft allein für über vierzig Bewohner verantwortlich ist, sei dieser Bedarf besonders spürbar, ergänzt Marco Strodt-Dieckmann, der im St.-Vitus-Werk als Kompetenzfeldleiter Wohnen und Lebensgestaltung das Projekt begleitet. Denn bisher liege das Wissen darüber, was im Sterbefall getan werden muss oder was von den jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohnern gewünscht wird, vor allem bei Einzelpersonen. Aber was passiert, wenn genau die Mitarbeiter in diesen schwierigen und oftmals krisenhaften Situationen keinen Dienst haben oder langfristig ausfallen?

In den kommenden drei Jahren will die ESA hier Erfahrungen sammeln, die das Weitergeben von Wissen erleichtern. Im Idealfall können so Rahmenbedingungen definiert werden, die sich konsequent an den Bedürfnissen der Bewohner ausrichten und die Begleitpersonen entlasten. „Denn um ihre Belange“, da sind sich alle im Projekt Beteiligten einig, „geht es im Besonderen.“

Was wünsche ich mir, wenn ich sterbe? Wie will ich sterben? Und was soll danach passieren? Auf diese Wünsche gilt es, achtsam einzugehen. „Unter Achtsamkeit verstehen wir, dass der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht, ein gelassener und doch aufmerksamer Umgang mit ihm gepflegt sowie  die Begleitung passgenau auf ihn abgestimmt wird“, erläutert Dr. Jutta Hollander den ersten von insgesamt drei Handlungsgrundsätzen im Projekt. Deshalb sei in der palliativen Begleitung von Menschen mit Behinderung, hebt die Akademieleiterin die beiden weiteren Grundsätze hervor, ein komplementäres und inklusives Vorgehen wichtig. Die Sterbebegleitung von Menschen mit Behinderung müsse demnach nicht nur über den medizinischen Bereich hinausgehen, sondern auch die Mitbewohner einbeziehen. „Denn wie in einer Familie“, verdeutlicht Dr. Hollander, „können auch die Mitbewohner das Abschiednehmen für den Sterbenden angenehmer gestalten.“

Nicola Bußkönning beispielsweise erinnert sich an einen Bewohner, der sich nichts sehnlicher wünschte, als „zu Hause“ zu sterben. Er hatte 68 Jahre in der Einrichtung gelebt und war kurz vor seinem Tod ins Krankenhaus eingeliefert worden. Seine letzten Stunden aber, schildert Bußkönning, wollte er in gewohnter Umgebung sowie im Kreise von Freunden und Familie verbringen. „Ein Anliegen, das auch die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner teilten und das wir sehr gerne erfüllt haben.“

Dass Wünsche wie diese umgesetzt werden können, ist keine Selbstverständlichkeit, weiß auch Konrad Lampart, der selbst über langjährige Erfahrung in der Arbeit mit behinderten Menschen verfügt und bei der SAGST als Projektleiter tätig ist. „Daher ist gerade der Aufbau von Begleitgemeinschaften aus Angehörigen, Mitbewohnern und Pflege- oder Betreuungspersonen so wichtig. Erst diese persönlichen Palliativ-Netzwerke bringen Stabilität für alle Beteiligten.“

In Kooperation mit zwei Einrichtungen der Eingliederungshilfe führt die Europäische Senioren Akademie (ESA) von 2018 bis 2021 ein Projekt zur Palliativbegleitung von Menschen mit Behinderung durch. Der Benediktushof im Münsterland und das St.-Vitus-Werk im Emsland sind die beiden Projektpartner, in denen während der Projektphase sogenannte interne Netzwerke entstehen, die die externe Palliativ-Versorgung ergänzen. Aus beiden Einrichtungen werden jeweils zehn Fallbeispiele einbezogen. Sie bilden die Basis für ein Konzept zur achtsamen, komplementären und inklusiven Sterbebegleitung, das in enger Zusammenarbeit mit Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeiter-Teams entwickelt wird. Die ESA möchte durch das Projekt nicht nur Menschen mit Behinderung eine individuelle Begleitung am Lebensende ermöglichen, sondern darüber hinaus aus den gesammelten Erfahrungen einen Leitfaden für Nachahmer entwickeln.