Die von uns geförderten Projekte sind
unsere Fenster in die Welt.

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„Bildung auf Augenhöhe“: Ein inklusives Lehr-Projekt erobert die Hörsäle – und die Gesellschaft

Die Bildungsfachkräfte mit Studenten bei einer Lehrveranstaltung
Bildungsfachkräfte-Seminar, Foto: Institut für Inklusive Bildung Kiel

Sechs Bildungsfachkräfte und ein klares Ziel: Erfahrungen aus der eigenen Lern-Biografie vermitteln und zeigen, dass Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt viel bewegen können.

Am Institut für Inklusive Bildung in Kiel werden seit 2016 Menschen mit Behinderung zu Bildungsfachkräften ausgebildet. In Vorlesungen, Seminaren und Workshops geben sie ihr Wissen und ihre Alltagserfahrungen an Studierende oder Führungskräfte weiter und leben „Bildung auf Augenhöhe“. Das Projekt, durch das Menschen mit Behinderung ihre Expertise in eigener Sache vermitteln können, setzt damit wichtige gesellschaftliche Impulse für direkte Begegnungen und gesellschaftliche Teilhabe. In den kommenden fünf Jahren sollen an bundesweit zehn Hochschulstandorten, auch mit Unterstützung der Software AG – Stiftung, weitere 60 Bildungsfachkräfte qualifiziert werden. „Bei dem Tempo das wir gerade machen, müssen wir fast aufpassen, dass uns die Wünsche nach mehr Verbreitung nicht einholen. Vor einem Jahr haben wir gesagt, wir wollen in fünf Jahren zehn Hochschulstandorte aufbauen, jetzt haben wir dieses Jahr schon fünf“, freut sich Dr. Jan Wulf-Schnabel, Leiter des Instituts, über die großen Fortschritte.

Die Vermittlung der Lebenswelten von Menschen mit Einschränkungen steht im Mittelpunkt des Bildungsprojekts. Isabell Veronese und Laura Schwörer, zwei Bildungsfachkräfte der ersten Stunde, berichten in ihren Vorlesungen von eigenen Erfahrung. „Interessant ist nicht nur, was man voneinander lernen kann, sondern wie authentisch die Vermittlung ist. Dadurch, dass wir selber aus eigener Perspektive berichten können, als betroffene Menschen, wird es spannend“, beschreibt Laura Schwörer die Lehrsituation. Die beiden vermitteln angehenden Lehrkräften oder Sozialarbeitern unter anderem, wie sie auf Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung eingehen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Schwierigkeiten beim Lernen handelt oder andere Barrieren, sichtbare oder unsichtbare. Wenn die Kommunikation schwerfällt, Beeinträchtigungen beim Hören vorliegen oder die Aufmerksamkeit im Unterricht zur Herausforderung wird, können die Bildungsfachkräfte aus eigener Erfahrung Hilfestellungen vor allem  für die  Pädagogen in Spe geben. „Wichtig ist, dass der Lehrer den Schülerinnen und Schülern immer auf Augenhöhe und mit dem Herzen begegnet“, macht Schwörer deutlich.

Gerade durch diese Augenhöhe und die authentische Haltung der Bildungsfachkräfte und Institutsmitarbeiter, die sich für Inklusion in der Hochschulbildung stark machen, wird aus dem Projekt ein Erfolgskonzept, das immer weiter wächst. Schulungen mit Führungskräften, Mitarbeitern in Verwaltungen oder Ministerien gehören inzwischen ebenso zum Arbeitsalltag der Bildungsfachkräfte wie Vorlesungen für Studenten verschiedener Fachrichtungen. Das Spektrum reicht vom klassischen Lehramtsstudenten über angehende IT-Expertinnen bis hin zu Studierenden der Betriebswirtschaftslehre.

Die Qualifizierung zur Bildungsfachkraft dauert drei Jahre, in denen es um die Bedeutung von Bildung und Teilhabe geht, das Referieren erlernt wird und Instrumente praktischer Wissensvermittlung als Lehrkompetenzen im Fokus stehen. Eine Ausbildung, die beiden Seiten mehr Sicherheit und Offenheit im alltäglichen Miteinander geben kann. Isabell Veronese ist besonders die Anerkennung von außen wichtig. Eine neue Selbstbestimmung und die vielen neuen Erfahrungen motivierten sie und auch die anderen Lehrkräfte zu diesem Schritt. „Endlich mal meinen Kopf mehr einsetzen. Früher habe ich öfter eintönige Sachen gemacht. Ich kann mir nichts mehr anderes vorstellen als diese Arbeit.“ Die wichtigsten Voraussetzungen für die Teilnehmer sind Mut und Interesse an dem Projekt, so Sara Groß, pädagogische Leitung am Institut für Inklusive Bildung. „Wichtig ist, dass die Personen wirklich Lust haben und sich auch vorstellen können, aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in so ein Projekt zu wechseln, mit der Perspektive, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu werden.“

Erste Erfahrungen haben Laura Schwörer und Horst-Alexander Finke bereits zwischen 2009 und 2012 im Vorläuferprojekt „Meine Welt“ gesammelt. „Als ich gehört habe, dass das Projekt ‚Inklusive Bildung‘ ins Leben gerufen werden sollte, da habe ich mich natürlich sofort beworben“, erzählt Schwörer. Ihr Kollege ergänzt: „Ich habe mir gesagt, du kannst mehr. Und du musst dein berufliches Umfeld verändern. Dann bin ich den mutigen Schritt gegangen und habe festgestellt, Arbeit macht zufrieden und bestimmt nicht mein Leben, sondern bereichert mein Leben. Das kriege ich jeden Tag mit und dafür bin ich sehr dankbar.“

Die wachsende Nachfrage macht deutlich: Das Institut für Inklusive Bildung mit dem Ansatz, Menschen mit Behinderungen umfassend zu qualifizieren und ihnen den Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ist ein Erfolgsmodell. Dr. Wulf-Schnabel und sein Team setzen dabei auf internationale Vernetzung und Bewusstseinsbildung. Mit diesem Ansatz wird die UN-Behindertenrechtskonvention lebendig. Die derzeit sechs Bildungsfachkräfte sind mit Vorträgen und Workshops in Wien, Birmingham oder Manchester bereits europaweit aktiv und setzen Impulse über die schleswig-holsteinische Landesgrenze hinaus. Die Zukunft des Projektes sieht Dr. Jan Wulf-Schnabel genau auf diesem Weg: „Ich kann mir schon vorstellen, dass wir in zehn Jahren von einem globalen Ansatz sprechen. Das würde ich mir jedenfalls wünschen.“