Den ganzen Menschen im Blick: Interview mit Alanus-Kanzlerin Dziak-Mahler über Alleinstellungsmerkmale der Hochschule sowie die Faktoren einer gelingenden Organisationsentwicklung
Das Bildungskonzept der Alanus Hochschule, das die Software AG – Stiftung als langjährige Förderin finanziell wie ideell begleitet, nimmt den ganzen Menschen in den Blick. Ganz in diesem Sinne wendet sich die SAGST auf ihrer Homepage immer wieder auch denjenigen zu, die diesen Ausbildungsort ausmachen – seinen Lehrenden und Studierenden sowie den Vertreter:innen des Hochschulmanagements. Diesmal im Fokus: Myrle Dziak-Mahler, seit Anfang 2021 Kanzlerin in Alfter und kaufmännische Geschäftsführerin der gGmbH. Im Interview spricht sie über ihre ersten Monate im Amt, die Rolle von Kunst, Feedback und Augenhöhe in der Organisationsentwicklung sowie darüber, was Alanus jetzt und in Zukunft so einzigartig macht.
Frau Dziak-Mahler, seit gut sechs Monaten sind Sie als Kanzlerin der Alanus Hochschule im Amt. Wie haben Sie in dieser Zeit Ihre neue Wirkungsstätte in Alfter erlebt?
Myrle Dziak-Mahler: Ich habe die Alanus Hochschule in einer sehr speziellen Situation kennengelernt. Als ich anfing, befanden wir uns mitten in der Hochphase der Pandemie und sie war quasi leer. Trotzdem war das spürbar, was Alfter für mich und andere so besonders macht: Es herrscht eine einzigartige Stimmung, man könnte sagen, eine ganz eigene Kultur, die von einem starken Zugehörigkeitsgefühl geprägt ist. Man versteht sich hier als Teil einer großen Alanus-Community. Das gilt nicht nur für die rund 260 Lehrenden sowie Mitarbeitenden in der Verwaltung, sondern auch für unsere knapp 2.000 Studierenden und sogar die Anwohnerinnen und Anwohner vor Ort, die stolz auf ihre Hochschule sind.
Woran liegt das?
Myrle Dziak-Mahler: Eine gewisse Faszination geht sicherlich vom Campus I, unserem Johannishof auf dem Berg, aus. Seine traumhafte Lage bildet ein ideales Umfeld für künstlerisch-kreatives Arbeiten und hat ein besonderes Flair, das auch ich persönlich wahnsinnig mag. Darüber hinaus verdankt die Hochschule ihre Strahlkraft, die sich bis in die gesamte Rhein-Sieg-Region erstreckt, auch den Studienbedingungen, die hier geschaffen wurden und genau den Nerv nachwachsender Generationen treffen.
Inwiefern?
Myrle Dziak-Mahler: Die Generation Z und diejenigen, die jetzt noch in der Schule sind, die sogenannte Generation Alpha, wollen weg von einer normierten Ausbildung für ein konkretes Berufsbild. Persönlichkeitsbildung ist das, was diese jungen Leute suchen und was sie hier in Alfter ebenso finden können wie die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich hochrelevanten Themen wie Nachhaltigkeit oder Klimawandel.
Wie genau fördert die Alanus Hochschule die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Studierenden?
Myrle Dziak-Mahler: Wir – an dieser Formulierung sehen Sie, wie sehr ich mich bereits mit der Hochschule identifiziere – nehmen den einzelnen Menschen in den Blick, docken dort an, wo er als Individuum steht, und begleiten ihn auf seinem Weg.
Das passiert natürlich in besonderem Maße bei der Ausbildung junger Künstlerinnen und Künstler …
Myrle Dziak-Mahler: … aber beispielsweise auch im Rahmen unseres Studienprogramms für angehende Waldorfpädagoginnen und -pädagogen. Ihre Persönlichkeit sowie die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern beeinflussen nachweislich den Lernerfolg. Und trotzdem wird die Rolle der Lehrperson im staatlichen Studium weitgehend vernachlässigt. Als ehemalige Lehrerin und jemand, der 16 Jahre in der Lehrerausbildung gearbeitet hat, ist es schön, in Alfter etwas ganz anderes vorzufinden und auch die Vielfalt innerhalb der Studierendenschaft zu erleben. Mit unseren berufsbegleitenden Studiengängen, die auf die individuelle Lebenssituation der Studierenden eingehen, ziehen wir nicht nur Abiturientinnen und Abiturienten frisch von der Schulbank an, sondern auch Erzieherinnen und Erzieher, die schon im Arbeitsleben stehen, oder Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die sich beruflich verändern wollen. Ein anderes Beispiel dafür, wie wir die Persönlichkeit unserer Studierenden stärken, ist unser trans- bzw. interdisziplinäres Konzept: Wir haben ein starkes Studium Generale. Das gibt es freilich auch an vielen anderen Universitäten. Aber nur an wenigen Standorten kann, wer Architektur oder Wirtschaft studiert, Kunstmodule belegen – und auch Kunsthochschulen mit fest verankerten Angeboten in Soziologie, Philosophie oder im Wirtschaftsbereich sind eher selten.
Wenn Sie selbst noch einmal am Ende Ihrer Schulzeit stünden und in Alfter studieren würden, auf welches Fach der insg. über 20 Studiengänge wäre Ihre Wahl gefallen?
Myrle Dziak-Mahler: Ich bin schon einmal gefragt worden, in welches Studienfach ich mich an der Alanus Hochschule einschreiben würde, wenn ich nicht erneut Lehramt studieren könnte. Damals musste ich mir etwas anderes überlegen und bin ganz schnell bei Kunsttherapie gelandet, weil mich der therapeutische Ansatz und der einzelne Mensch so sehr interessieren. Aber um ehrlich zu sein: Ich würde wieder Lehrerin werden wollen und es hier in Alfter sehr genießen, dass ich an einer kleinen Hochschule mit einem sehr guten Betreuungsschlüssel studieren und Pädagogin an einer Waldorfschule werden dürfte. Als jemand, der sich für Kunst und Kultur interessiert, hätte ich mich vermutlich schon damals hier sehr wohlgefühlt.
Die Alanus Hochschule befindet sich aktuell in einem Transformationsprozess, um noch zukunfts- und marktfähiger zu werden. Welche Rolle spielt dabei die Kunst für die Organisationsentwicklung?
Myrle Dziak-Mahler: Kunst kann Entwicklungsprozesse innerhalb von Organisationen unterstützen – nicht nur hier in Alfter. Das Erlebnis, künstlerisch tätig zu sein, kann zum Beispiel helfen, die eigene Feedbackkultur zu überdenken. Denn auch wenn uns allen die Rückmeldung von außen sehr wichtig ist, richtig durchgeführt, d.h. institutionalisiert und auch professionell sowie methodisch gestützt, wird eine solche Rückkoppelung eher selten, insbesondere dann, wenn es um Peer-Feedback geht. An dieser Stelle können wir viel beispielsweise von unserem Fachgebiet Schauspiel lernen. Wer hier ausgebildet wird, wird mit regelmäßiger Resonanz von anderen groß. Er spielt etwas vor und bekommt Feedback – nicht nur von den Professorinnen und Professoren, sondern auch von den Mitstudierenden, denen er seinerseits Rückmeldung gibt. Ein solches hierarchiefreies Feedback auf Augenhöhe ist dabei die Königsdisziplin für eine lernende Organisation und Teil eines Menschenbildes, wie es sich auch in meinem Vier-gewinnt-Modell findet.
Was hat es damit auf sich?
Myrle Dziak-Mahler: Das Vier-gewinnt-Modell ist entstanden während meiner Zeit als Geschäftsführerin am Zentrum für Lehrerbildung an der Universität Köln, das ich gemeinsam mit anderen von null auf hundert aufgebaut habe. Im Zuge dessen sowie als Resultat der permanenten Reflexion darüber, was eine Organisation eigentlich braucht, habe ich erkannt, wie wichtig es ist, sich gegenseitig ernst zu nehmen. Entscheidende Bausteine dafür sind Transparenz, Partizipation, Augenhöhe und Eigenverantwortung. Nur so kann es gelingen, möglichst frei von Hierarchien miteinander in Beziehung zu treten und gleichzeitig als Gesamtorganisation klüger zu werden. Denn ein solches Umfeld ermöglicht es, dass alle ihre Expertise, ihr Wissen sowie ihre Fähigkeiten einbringen.
Welche dieser vier Komponenten ist aus Ihrer Sicht die wichtigste?
Myrle Dziak-Mahler: Sie alle bauen aufeinander auf. Für mich als Führungskraft sind aber die besagte Augenhöhe bzw. Vertrauen etwas ganz Entscheidendes, da ich beides ganz bewusst herstellen muss, bevor ich es von anderen erwarten kann. Ein banales Beispiel aus dem Hochschulalltag: Ich als 57-jährige Kanzlerin und Geschäftsführerin treffe auf eine Studentin. Ich kann ihr sagen: „Rede auf Augenhöhe mit mir“. Funktionieren wird das aber nicht. Ich bin qua Position, aufgrund der bestehenden informellen Machtstrukturen, diejenige, die dafür sorgen muss, dass das nötige Vertrauen vorhanden ist, einander entsprechend zu begegnen – und nicht umgekehrt.
Vertrauen hat auch immer etwas damit zu tun, Vergangenheit loszulassen und Zutrauen in Zukunft zu haben. Welche Entwicklungschancen sehen Sie für die Alanus Hochschule?
Myrle Dziak-Mahler: Ich bin überzeugt davon, dass wir auch in Zukunft weiterhin eine einzigartige Hochschule sind, aber gleichzeitig auch Potenzial haben, noch zukunftsfähiger zu werden. Ein – wenn auch unwillkommener – Anstoß auf dem Weg dahin war Corona. Der Ausnahmezustand hat bei uns viele Entwicklungen angeregt – zum Beispiel mit Blick auf die digitale Lehre, die Alfter zu einem noch vielfältigeren Studienort manchen kann als bisher.
Myrle Dziak-Mahler ist zertifizierter Coach und Scrum Master, hat in St. Gallen Managementtheorie gelernt und ist ausgebildete Moderatorin. Neben ihrer Tätigkeit an der Alanus Hochschule ist sie als Rednerin, Coach, Beraterin, Moderatorin und Autorin gefragt. Sie wurde mehrfach für ihre besonderen Leistungen als Führungskraft ausgezeichnet, zuletzt mit dem Universitätspreis der Universität zu Köln.