Die von uns geförderten Projekte sind
unsere Fenster in die Welt.

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Der Lernort Bauernhof am Hofgut Oberfeld: Bildung für nachhaltige Entwicklung

Johannes Rehmann
Foto: Lernort Bauernhof

„Woher stammt eigentlich unser Essen?“ und „Was bedeutet artgerechte Tierhaltung?“: Diesen und weiteren Fragen geht man am Hofgut Oberfeld in Darmstadt mit Kopf, Herz und Hand auf den Grund – so das Motto des dortigen Lernort Bauernhofs, der seit 2006 die biodynamische Landwirtschaft für alle Generationen sinnlich erlebbar macht. Johannes Rehmann (M.A. Inclusive Education), pädagogischer Leiter vor Ort, spricht im Interview über die Motivation seines Teams, das Bildungs-Programm zum Begreifen und Mitmachen sowie den inklusiven Weg der südhessischen Initiative.

Herr Rehmann, wie sind Sie selbst auf Huhn, Schaf und Kuh gekommen?
Meine Mutter stammt vom Bauernhof, das hat mich sicher geprägt. So war ich schon als kleiner Junge ständig an der frischen Luft und immer von Tieren umgeben. In der Schule gehörte dann Biologie zu meinen Lieblingsfächern. Durch die praktischen Erfahrungen, die ich während meines Freiwilligen-Dienstes bei einem gemeinnützigen Projekt in Südafrika machen durfte, entdeckte ich unter anderem die Leidenschaft fürs Gärtnern. Sie hat mich im Laufe meines Studiums schließlich ans Oberfeld geführt, wo ich zusammen mit Freunden eine Parzelle im Saisongarten gepachtet hatte. Das war großartig. Ein paar Jahre später bin ich beim Einkaufen im Hofladen zufällig meiner Vorgängerin begegnet. Wir kamen ins Gespräch, sie zog es zurück in die Heimat und war deshalb auf der Suche nach einem Nachfolger. So bin ich gewissermaßen zufällig hier gelandet.

Warum passen Kinder und Bauernhöfe eigentlich so gut zusammen?
Kinder nehmen Neues mit all ihren Sinnen auf: Sie sehen, riechen, hören, schmecken und fühlen am Bauernhof auf vielfältige Weise. Die direkte Verbundenheit mit dem persönlichen Tun und das unmittelbare Erleben machen den Unterschied. Anders als beim bloßen Lernen aus Büchern oder im Frontalunterricht in der Schule können Kinder hier bei uns aktiv mit anpacken, Lebensmittel wie Brot oder Käse herstellen und natürlich auch kosten. Dadurch begreifen sie den Ursprung unseres Essens.

Aber auch Erwachsene kommen gern hierher. Was können sie auf dem Hofgut Oberfeld erfahren?
Mit ihnen und auch mit älteren Kindern oder Jugendlichen entstehen oft lebendige Diskussionen über verschiedene Haltungs- und Anbaumethoden. Dafür ist es natürlich wichtig, sich Unterschiede bewusst zu machen und verschiedene Systeme kennenzulernen. Am Hofgut Oberfeld wird biologisch-dynamisch, also nach höchsten ökologischen Gesichtspunkten, gewirtschaftet. Das heißt: Bei uns bleiben Kälber nach der Geburt bei ihren Müttern, die Hühner laufen frei auf der Weide und auf den Einsatz von Chemie oder Pestiziden beim Obst- und Gemüseanbau wird bewusst verzichtet. Dabei ist es uns in der pädagogischen Arbeit immer auch ein Anliegen, die Heranwachsenden auf ihrem Weg zu mündigen, kritischen Verbraucherinnen und Verbrauchern zu begleiten. Allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern auf Basis eigener emotionaler Erfahrungen. Denn nur so entsteht eine gefestigte und wertebasierte innere Haltung.

Wie haben sich Angebot und Klientel seit der Gründung des Lernorts verändert?
Der Lernort Bauernhof ist seit seiner Gründung im Jahr 2006 stark gewachsen. Mittlerweile erreichen wir mit unseren Angeboten jährlich rund 7.000 Menschen aller Altersklassen. Neben Workshops für feste Gruppen und offenen Angeboten werden hier auch Kindergeburtstage und Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen, Team-Events sowie Ferienspiele veranstaltet. Unser Ziel ist und war es von Anfang an, dass jedes Kind aus der Umgebung den Bauernhof wenigstens einmal aus nächster Nähe erlebt. Wobei es dabei häufig nicht bleibt: Mit vielen pädagogischen Einrichtungen innerhalb des Stadt- und Landkreises bestehen schon seit Jahren feste Kooperationen. Hierdurch ist die Zahl derjenigen, die wiederkommen, recht groß. Insbesondere die Jahrgänge von der dritten bis zur sechsten Klasse sind regelmäßig zu Gast.

Eine konstant hohe Qualität und verlässliche Struktur im Ablauf der Programme anzubieten, ist uns heute wichtiger denn je. Denn so können die begleitenden Lehrkräfte ihre Ausflüge zum Lernort Bauernhof optimal vor- und nachbereiten. Außerdem wissen sie so schon im Voraus genau, was auf sie und die Gruppe zukommt. Darin zeigt sich die zunehmende Professionalisierung, die in den vergangenen 14 Jahren bei uns stattgefunden hat. Gleich geblieben sind allerdings unsere Themen: Am Oberfeld dreht sich nach wie vor alles rund ums Milchvieh, Legehennen, Schafe sowie um Getreide-, Obst- und Gemüseanbau im Allgemeinen.

Ein zentrales Anliegen ist es uns seit jeher auch, die Begeisterung für die Landwirtschaft mit allen Menschen teilen zu können. Durch den niedrigschwelligen Ansatz kann hier jede und jeder Einzelne unabhängig vom persönlichen Geldbeutel oder anderen möglichen Einschränkungen mitmachen. Nur so bewahren wir uns den Charakter eines inklusiven Lern- und Bildungsortes für nachhaltige Entwicklung. Natürlich sind wir dabei immer auch auf Spenden und die Unterstützung von Förderpartnern angewiesen, zu denen insbesondere die Bürgerstiftung Darmstadt, die Dotter-Stiftung, die Karl Mergele Stiftung und die Software AG – Stiftung gehören.

Womit bringen Sie die kleinen und großen Besucherinnen und Besucher vor Ort am liebsten zum Staunen?
Stets wunderbar ist der Moment, wenn Kinder, Jugendliche oder auch Erwachsene begreifen, woher der Strohhalm eigentlich seinen Namen hat. Noch ist es ja so, dass die meisten Menschen vor allem diese Plastik-Röhrchen kennen. Wenn wir dann aber beim Workshop „Vom Brot zum Korn“ ein Stück von einem getrockneten Getreidehalm abschneiden, ins Wasserglas stecken, reinblubbern und daraus trinken, geht allen plötzlich ein Licht auf – nicht selten mit offenem Mund und großen Augen: Na klar, das ist ein echter Strohhalm!

Was benötigt der Lernort Bauernhof für die Zukunft?
Menschen mit viel Energie und Kreativität, die neue Ideen und Impulse einbringen – die braucht es an einem dynamischen Ort wie dem Hofgut Oberfeld immer. Denn, auch wenn bereits wahnsinnig viel passiert ist, bin ich mir sicher, dass hier nach wie vor ein riesiges Entwicklungspotential schlummert. Für die Zukunft des Lernort Bauernhof würde ich mir wünschen, dass wir zusätzliche Projekte finden, an denen viele Schülerinnen und Schüler noch intensiver mitwirken können, um ihre ganz persönlichen Spuren zu hinterlassen. Nicht nur einmal für drei Stunden, sondern zum Beispiel über ein komplettes Schuljahr hinweg. So erleben sie auch den Kreislauf der Jahreszeiten, der in der Landwirtschaft eine ganz wesentliche Rolle spielt. Die Saisongärten stellen beispielsweise eine gute Möglichkeit dar. Die 80 Quadratmeter großen Parzellen könnten gut von einer Klasse oder einem Jahrgang gepachtet und im regelmäßigen Turnus beackert werden. Doch auch beim Thema Getreide und Kartoffeln ist es denkbar, dass die Schülerinnen und Schüler eine ganze Saison lang erst säen bzw. setzen, anschließend das Wachstum der Pflanzen vor Ort verfolgen und schließlich die Ernte einbringen, sie verarbeiten und sich verdient schmecken lassen. So wäre das Lernen noch eindrücklicher und damit nachhaltiger.

Im Osten von Darmstadt liegt das Hofgut Oberfeld – eingebettet zwischen Wiesen und Feldern, dem historischen Park Rosenhöhe und dem angrenzenden Oberwald. Die ehemalige großherzogliche Hofmeierei und spätere Staatsdomäne ist der letzte noch erhaltene Bauernhof in der südhessischen Kernstadt und dient den Bürgerinnen und Bürgern heute als beliebtes Ausflugsziel oder Begegnungsort. Die Software AG – Stiftung erwarb den denkmalgeschützten Gebäudekomplex, bestehend aus Gutshof und fünf Arbeiterhäusern, im Sommer 2006 vom Land Hessen und übergab es in die Trägerschaft der neu gegründeten Stiftung Hofgut Oberfeld. Diese vernetzt und unterstützt als Trägerin des Lernort Bauernhof seither die unterschiedlichen Partner vor Ort. Zu diesen gehören neben dem Lernort Bauernhof und der Initiative Domäne Oberfeld e. V. auch das Projekt Lebensweg e. V. in Kooperation mit dem Verein Heydenmühle e. V. sowie die Hofgut Oberfeld Landwirtschaft AG. Gemeinsam sowie auf Basis großen bürgerschaftlichen Engagements bieten die Projektpartner neben biodynamischer Landwirtschaft mit Tierhaltung ein vielfältiges kulturelles, pädagogisches und sozialtherapeutisches Angebot für Menschen mit und ohne Behinderung.