Die von uns geförderten Projekte sind
unsere Fenster in die Welt.

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Gesundheitspreis NRW geht an das Projekt „Behindertenorientierte Zahnmedizin“ der Universität Witten/Herdecke

Junge Schüler mit und ohne Behinderung beim Unterricht in einem Klassenzimmer
Foto: C. Fischer

Die zahnärztliche Behandlung von mehrfach und schwer geistig behinderten Menschen ist eine besondere Herausforderung und bedeutet für die Betroffenen oft eine außergewöhnliche Stresssituation. In Deutschland sind aber nur wenige Zahnärzte entsprechend ausgebildet. Im Rahmen des Projekts „Behindertenorientierte Zahnmedizin“ hat die Universität Witten/Herdecke mit Unterstützung der Software AG – Stiftung einen Lehrstuhl für dieses Fachgebiet eingerichtet und versorgt in Behinderteneinrichtungen lebende Menschen vor Ort. Die Universität wird dafür mit dem Gesundheitspreis Nordrhein-Westfalen 2015 ausgezeichnet, der mit 3.000 Euro dotiert ist. Wir sprachen mit Prof. Dr. Stefan Zimmer, Leiter des Departments für ZMK-Heilkunde an der UW/H

Sehr geehrter Herr Prof. Zimmer, herzlichen Glückwunsch zum Gesundheitspreis für die Behindertenorientierte Zahnmedizin der UW/H. Was war der Impuls, dass sich die UW/H bereits kurz nach ihrer Gründung dem Bereich „Special Care“ angenommen hat?

Seit ihrer Gründung ist es der Universität ein Anliegen gewesen, sich nicht auf Lehre, Forschung und unmittelbare Patientenversorgung zu beschränken, sondern darüber hinaus in die Gesellschaft hinein zu wirken und einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Dabei wurde erkannt, dass Menschen mit Behinderungen in der zahnmedizinischen Prävention und Versorgung benachteiligt sind. Deshalb wollte und will die UW/H eine Anlaufstelle für diesen Personenkreis sein.

Was ist die besondere Herausforderung bei der (zahn-) medizinischen Behandlung von Menschen mit Behinderungen?

Menschen mit Behinderungen brauchen in der zahnmedizinischen Prävention und Behandlung deutlich mehr Zuwendung als Menschen ohne Behinderung. Außerdem kommen sie nicht alleine zur Behandlung, sondern in Begleitung, häufig in Begleitung ihrer besorgten Angehörigen, die ebenfalls mit viel Zuwendung und Empathie betreut werden müssen. Es braucht wesentlich mehr Zeit und Geschick, Vertrauen aufzubauen, was eine Grundvoraussetzung für Untersuchung und Behandlung ist. Auch die zahnmedizinische Behandlung  an sich erfordert wesentlich mehr zeitlichen Aufwand, weil Menschen mit Behinderungen in ihrer Fähigkeit, bei der Behandlung mitzuwirken, eingeschränkt sind.  Sie sind weniger belastbar und ungeduldiger und manche können auch gar nicht auf dem zahnärztlichen Behandlungsstuhl behandelt werden sondern nur in ihrem Rollstuhl. Oft stellt sich am Ende langwieriger Bemühungen heraus, dass eine Behandlung im Wachzustand doch nicht möglich und eine Vollnarkose erforderlich ist, die wir in etwa 800 Fällen pro Jahr durchführen müssen.  Auch die aufgrund von Syndromen mit oraler Beteiligung oftmals besonders schwierige zahnmedizinische Situation stellt besondere Anforderungen an die Behandler.  

Welche Fähigkeiten benötigt ein Zahnarzt, wenn er Menschen mit Behinderungen behandelt?

Er braucht vor allem Geduld und Empathie und darf keine Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen haben. Das sind die fundamentalen Voraussetzungen, die wir auch unseren Studierenden vermitteln. Darüber hinaus muss er sich mit den fachlichen Besonderheiten auskennen, insbesondere beim Vorliegen von Syndromen was nicht nur zahnmedizinische Relevanz hat, sondern allgemeinmedizinisch oft auch mit besonderen Behandlungsrisiken verbunden ist. Da unsere Studierenden diese besondere Ausbildung im Rahmen ihres Studiums durchlaufen, erhalten sie am Ende des Studiums neben dem Staatsexamenszeugnis ein besonderes Zertifikat, das ihre Qualifikation auf dem Gebiet der Behandlung von Menschen mit Behinderungen ausweist.

Inwiefern nimmt die UW/H hier eine Vorreiterrolle ein, welche Impulse auf Wissenschaft, medizinische Praxis und Gesellschaft erhoffen Sie sich mit der „behindertenorientierten Zahnmedizin“?

Der Lehrstuhl für Behindertenorientierte Zahnmedizin ist der erste und einzige seiner Art in Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland. Damit haben wir in der Lehre eine Vorreiterrolle, weil wir die einzigen sind, die in diesem Fach auf hohem akademischem und praktischem Niveau ausbilden können. Auch in der Versorgung leisten wir mit ca. 1800 Patienten pro Jahr in der Behindertenorientierten Zahnmedizin eine ganze Menge. Meines Wissens unterhalten wir damit die größte Ambulanz für Behindertenorientierte Zahnmedizin in Deutschland. Was wir aber mit dem Lehrstuhl weiter intensivieren wollen, sind die Forschung und die akademische Entwicklung des Faches. Durch die Berufung eines ausgewiesenen Experten in diesem Fach, Herrn Prof. Dr. Andres Schulte, der aus Heidelberg zu uns gekommen ist, haben wir die Möglichkeit, akademischen Nachwuchs für das Fach heranzubilden, Promotionen und Habilitationen zu betreuen, und darüber hinaus vor allem auch Grundlagen für eine bessere zahnmedizinische Versorgung von Menschen mit Behinderungen zu entwickeln.

Stichwort Finanzierung: Die Software AG und die Mahle-Stiftung haben den Lehrstuhl mit ermöglicht. Wie wichtig sind die Drittmittel dieser Stiftungen?

Ohne die Mittel der Stiftungen, insbesondere der Software AG – Stiftung, wäre die Einrichtung dieses Lehrstuhles nicht möglich gewesen. Daher sind wir diesen Förderern sehr dankbar für ihr Engagement.

Vielen Dank für das Gespräch!