In Krisenzeiten durch „Fernwärme“ verbunden bleiben

Wie können wir die Angst in unseren Köpfen überwinden? Was lässt uns die Krise durchstehen? Woraus schöpfen wir Kraft? Die Berliner Bildungs-Initiative ACT e. V. setzt in Pandemiezeiten auf Solidarität sowie mentale Verbundenheit in und über ihre Schauspielgruppen hinaus. Zusammen wollen sie mit „Fernwärme“ – wie der Name des neuesten Vereinsprojekts verspricht – gegen soziale Isolation und lähmende Langeweile angehen.
In der Berliner Sonnenalle 124 ist es ruhig geworden. Der Probenraum im sogenannten ACT_Lab liegt im Dunkeln. Darsteller und Publikum? Fehlanzeige! Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und besonders gefährdete Menschen vor Ansteckung zu schützen, herrscht hier wie vielerorts eine vorübergehende Proben- und Veranstaltungspause. Normalerweise kommen an diesem sowie vier weiteren Standorten wöchentlich bis zu 150 Kinder und Jugendliche mit multikulturellem Hintergrund zum Üben und für gemeinsame Theater-Auftritte zusammen. Viele unter ihnen stammen aus dem Brennpunktbezirk Berlin-Neukölln und wachsen dort unter teils sehr schwierigen sozialen Verhältnissen auf. Sie in ihrer eigenverantwortlichen Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten sowie gleichberechtigt zu fördern, hat sich der Verein, der sein Programm auch an städtischen Schulen anbietet, bei seiner Gründung im Jahr 2008 zur Aufgabe gemacht.
Anna Maria Weber gehört seit 2015 zum dreiköpfigen Leitungsteam bei ACT e. V. und beschreibt die momentane Lage jenseits des regulären Betriebs wie folgt: „Uns allen wird in dieser Zeit schmerzlich bewusst, was fehlt: der gegenseitige Blickkontakt, das beziehungsreiche Miteinander, der direkte Austausch, sowohl mit als auch ohne Worte“, so Weber, die auch als Workshopleiterin im Verein tätig ist. „Darin zeigt sich sehr deutlich, auf wie vielen Ebenen wir normalerweise kommunizieren und für wie selbstverständlich wir das in unserer täglichen Arbeit bislang gehalten haben.“ Doch trotz der zahlreichen Einschränkungen gibt es für den anerkannten Träger der freien Jugendhilfe keinen Grund zu Resignation. Im Gegenteil: Spannungen, Konflikte und Einsamkeit, die durch den gesellschaftlichen Ausnahmezustand entstehen können, versucht man hier gezielt zu überwinden: Das Projekt „Fernwärme“ ruft die Akteure aller Theatergruppen sowie weitere Interessierte deshalb dazu auf, menschliche Wärme auch ohne Berührung entstehen zu lassen.
Mittels Medien Verbindung halten und sich von innen heraus stärken: Das neuartige Konzept sieht vor, das subjektive Erleben auf inspirierende Weise und durch technische Hilfe mit anderen zu teilen. In der Gemeinschaft soll so ein virtueller Raum geschaffen werden, der für alle offen ist, den Blick weitet und das Bewusstsein fürs Wesentliche schärft. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Gedankenwelt kann jeder Teilnehmer in Form kurzer Handy-Videos, Podcasts oder einer Foto-Serie dokumentieren. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt und reichen von Poesie über Musik und Tanz-Clips bis hin zum Daumenkino. Einzige Bedingung des Veranstalters: Physisch bleibt jeder für sich. Untereinander ausgetauscht werden die produzierten Inhalte anschließend über verschiedene Internet-Plattformen sowie auf einer eigens hierfür eingerichteten Webseite, die zum Internetauftritt von ACT e. V. gehört. Das Chatten hilft dabei, der Einsamkeit entgegenzuwirken. „Es ist schön zu erleben, wie der gesamte Verein, alle Gruppen und Kursleitungen jetzt beisammenstehen“, so Anna Maria Weber, die in der Krise auch ein großes Potential sieht, nun auf anderen Wegen enger zusammenzurücken.