Die von uns geförderten Projekte sind
unsere Fenster in die Welt.

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Lernen im echten Leben

Kinder und Erwachsene halten bemalte Papierblätter hoch, die zusammen den Schriftzug 'Schule für freie Entfaltung Schloss Tempelhof' ergeben

„Zur Erziehung eines Kindes braucht man ein ganzes Dorf“ – dieses afrikanische Sprichwort wird in der Dorfgemeinschaft Schloss Tempelhof wörtlich genommen. Denn das selbstverwaltete Dorf, das zwischen Stuttgart und Nürnberg in der Nähe von Schwäbisch Hall liegt, arbeitet seit 2011 an der Konzeption einer Schule. 2013 konnte die neugegründete „Schule für freie Entfaltung Schloss Tempelhof“ die ersten Schüler aufnehmen. Entstanden ist ein Lernort, der nicht nur den Kindern aus der Dorfgemeinschaft zugänglich ist, sondern auch als regionaler Impuls wirken soll.

Grundlage für diese pädagogische Ausrichtung ist ein Lernen, das im echten Dorfleben eingebettet ist. Will heißen: zum Lernen wird das ganze Dorf zur Verfügung gestellt: Landwirtschaft, Gärtnerei, Käserei, Bäckerei, Dorfküche, Dorfladen, Handwerksbetriebe, Künstlerateliers, Musiker, IT-Betriebe, Grafikbüro, Verwaltung, Seminar- und Gästebetrieb – all dies und noch mehr steht den Kindern und Jugendlichen der Schule als dezentrale Lernorte zur Verfügung. An diesen Lernorten haben die Schülerinnen und Schüler Lernbegleiter als Ansprechpartner. „Es ist einfach eine tolle Möglichkeit für die Kinder, eine Vielfalt von erwachsenen Persönlichkeiten kennenzulernen, die sie als Mentoren beim Hineinwachsen ins Leben begleiten können“, betont Dr. Marie-Luise Stiefel vom Vorstand des Schulvereins. Das bedeutet auch, dass im Mittelpunkt nicht eine künstlich geschaffene Lernumgebung steht, sondern das wirkliche Leben in der Dorfgemeinschaft, in dem die Schüler erleben können, wie Erwachsene sich gemeinsam in einer sinnvollen Arbeit engagieren.

„Kinder haben heute kaum mehr die Möglichkeit, solche Zusammenhänge zu erleben, wenn beispielsweise das ganze Dorf bei der Heuernte an einem Strang zieht und echte und sinnerfüllte Arbeit leistet“, unterstreicht auch Rüdiger Bachmann, der vor seiner Tätigkeit an der Freien Schule Tempelhof eine freie Schule aufgebaut und dort sechs Jahre als Lernbegleiter und Schulleiter gewirkt hat. Neben der Erfahrung sinnhafter Arbeit sei es unabdingbar, dass die Lernbegleiter den Schülerinnen und Schülern nicht nur als Wissende entgegentreten. „Dafür braucht es eine ganz neue Lernkultur, in der auch die Lehrenden permanent selbst auf der Suche sind“, so der Pädagoge.

„Uns geht es um das freie Lernen“, hebt Grundschullehrerin Susanne Drothler vom Lernbegleiterteam der Schule hervor. Unter freiem Lernen versteht sie, dass die Kinder ihre von Beginn an vorhandene natürliche Freude am Lernen und ihr Interesse an der Welt nicht wieder verlernen, weil Erwachsene ihnen vorgeben, was sie zu welchem Zeitpunkt zu lernen hätten. Ziel ist so die möglichst freie Entfaltung der Schüler mit Unterstützung von Lernbegleitern auf der Grundlage des Modells von Dr. Falko Peschel, das den Alltag als Lernort sowohl in organisatorischer, methodischer, inhaltlicher als auch sozial-integrativer Hinsicht versteht. Unterstützt wurde dieses Vorhaben durch ein im April 2013 abgeschlossenes Gutachten zum Pädagogischen Konzept der „Schule für freie Entfaltung“ von der Universität Augsburg durch Professor Ulrich Klemm. In diesem Gutachten wird dem Vorhaben ein besonders fortschrittlicher sowie innovativer Ansatz bescheinigt. Das Konzept sieht einen einheitlichen durchgehenden Bildungsgang für die Jahrgangsstufen eins bis zehn vor. Daher haben die Initiatoren bei der Schulbehörde nicht nur die Genehmigung einer Grundschule beantragt, sondern auch die einer Werkrealschule. Nach erfolgter Genehmigung konnte die Schule im September 2013 loslegen – mit zunächst 21 Schülern zwischen fünf und 17 Jahren.

Die Verantwortlichen ziehen nach dem ersten Schuljahr eine durchwegs positive Bilanz. „Mancher hat erwartet, dass der Start chaotisch wird“, resümiert Susanne Drothler. Das Gegenteil sei aber der Fall gewesen. Das liegt demnach auch daran, dass die Schule nicht nur mit den ersten Klassen begonnen hat, sondern mit allen Altersstufen. So konnten von Anfang an die älteren Schüler Verantwortung für die Jüngeren übernehmen, sodass schnell ein Gemeinschaftsgefühl entstand. Verantwortung haben die Schülerinnen und Schüler aber nicht nur füreinander übernommen, sondern auch für die Gestaltung der Schulkultur und des Lernprozesses. „Es war unglaublich spannend zu erleben, wie die Kinder und Jugendlichen selbst verbindliche Regelungen getroffen haben, wie der Schulalltag gestaltet werden sollte. Sie erlebten sich dadurch von Anfang an in der aktiven Rolle eines Gestalters der eigenen Bildungsbiographie und kamen gar nicht erst in eine passive, konsumierende Haltung“, erläutert Drothler.

Zu Beginn gab es aber nicht nur Befürchtungen, dass ein freies, selbstverantwortliches Lernen zu Willkür und Chaos führen könnte, sondern immer wieder auch skeptische Fragen, ob die behütete Umgebung einer Dorfgemeinschaft ausreichend auf die „harte Realität“ vorbereite. „Dadurch, dass die Kinder ihren Alltag weitestgehend selbst gestalten, sind sie praktisch permanent in der Auseinandersetzung mit den echten Lebensprozessen“, betont Bachmann. Der Pädagoge ist sich sicher, dass diese frühe lebenspraktische Auseinandersetzung mit der sich ständig ändernden Realität besser auf ein selbstverantwortliches Leben in der Gesellschaft vorbereitet als viele andere Schulkonzepte, die vorwiegend auf künstlich geschaffenen Lernumgebungen fußen.

Das Konzept stößt auf großes Interesse, die Schule wächst stärker als erwartet. Für die kommenden Jahre wird mit einem starken Zuwachs an Schülern gerechnet, und das nicht nur aus der Dorfgemeinschaft, sondern insbesondere auch aus dem nahen Umfeld der Schule.

„Vorbildlich finden wir, dass die Schule nicht nur für Kinder in der Dorfgemeinschaft zugänglich ist, sondern auch als regionaler Impuls wirken soll“, betont Andreas Rebmann, der das Projekt von Seiten der Software AG – Stiftung begleitet. „Die gut vernetzte Schule möchte die Bildungslandschaft in dieser Region durch sein jahrgangsübergreifendes, reformpädagogisches Angebot stärken und setzt  einen Impuls für gemeinwohlorientiertes Handeln, der bereits durch die Ausbildung von hierfür notwendigen Kompetenzen in der Schulzeit angelegt wird“, lobt Rebmann die Initiative.