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Natürlich gesund von Anfang an – Ein Interview mit Prof. Dr. med. Georg Seifert

Portraitfoto von Georg Seifert
Foto: Charité Berlin

Der kürzlich erschienene Ratgeber „Von Anfang an gesund“ erläutert, wie Eltern die Gesundheitskräfte ihrer Kinder natürlich stärken können. Mitautor ist Prof. Dr. med. Georg Seifert, Inhaber einer von der Software AG – Stiftung geförderten Stiftungsprofessur für Integrative Medizin in der Kinderheilkunde an der Berliner Charité.

Herr Prof. Dr. Seifert, wie unterscheiden sich die integrativen Ansätze in der Kindermedizin von denen der Erwachsenenmedizin?
Da die meisten Kinder noch keine grundsätzlichen gesundheitlichen Probleme haben, sind Vorsorge und Aufklärung bei ihnen viel wirkungsvoller als bei älteren Patienten. Die Stärken der Integrativen Medizin und der Regulationsmedizin liegen ja besonders im Bereich der Lebensstilmodifikation – also Anregungen für eine gesunde Lebensweise – und der präventiven Medizin. Die ersten drei Lebensjahre sind enorm wichtig und prägen den gesundheitlichen Verlauf des gesamten Lebens. Zentral ist hier die Idee der Salutogenese, d. h. die Erforschung und Stärkung der Selbstheilungskräfte. Wir fragen also: Was macht bzw. hält mich gesund? – und weniger danach, was mich krank macht.

Mit dieser Frage beschäftigen Sie sich auch in Ihrem kürzlich erschienenen Buch „Von Anfang an gesund“. Was ist denn das Geheimnis gesunder Kinder?
Wir haben darauf viel mehr Einfluss, als man vielleicht denkt. Wichtig sind protektive Faktoren wie Ernährung und Bewegung, aber auch stabile Beziehungen, ein gutes Bindungsverhalten, Sinnhaftigkeit – und Zufriedenheit im Leben. Interessant ist auch, dass diese Prozesse epigenetisch vermittelt werden. Das bedeutet, dass sich bestimmte Erfahrungen und Einflüsse auf einer molekularen Ebene dem Körper einprägen, die die genetische Sequenz nicht verändert. Diese Prägungen können transgenerational, über mehrere Generationen hinweg, die Gesundheit mitbestimmen. Durch Prävention und einen bewussten Lebensstil können wir aber auch hier positiven Einfluss nehmen. Neben konkreten und praktischen Hinweisen für unterschiedliche Lebensalter ist das ein zentraler Gedanke in unserem Buch.

Sie sind Inhaber der Stiftungsprofessur für Integrative Medizin in der Kinderheilkunde an der Berliner Charité. Wie erleben Sie Studierende, die zum ersten Mal mit dem Thema Integrative Medizin in Berührung kommen? Was ist deren Motivation?
Der größere Teil der Studierenden ist grundsätzlich daran interessiert, Neues zu lernen und will herausfinden, welches Potenzial die Integrative Medizin bietet. Wir wissen, dass zwei Drittel der deutschen Bevölkerung Erfahrung mit Integrativer Medizin hat, dennoch lernen die Studierenden im klassischen Medizinstudium nahezu nichts darüber. Da gibt es ein enormes Missverhältnis. Deshalb bieten wir ein zweiwöchiges Wahlpflichtmodul zur Integrativen Medizin an, das in dieser Art in Deutschland einzigartig ist.

Was erleben die Studierenden in diesen zwei Wochen?
Die Module bestehen immer aus einem kleinen Theorieteil, in dem wir über die Evidenzlage informieren, danach geht es um konkrete Erfahrungen. Wenn wir zum Beispiel über Mind-Body-Medizin sprechen, die auf ganzheitliche Weise zum Stressabbau beitragen kann, dann machen die Studierenden auch selbst eine einstündige Mind-Body-Sitzung mit. Beim Kurs zur Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) in der Heilpflanzenabteilung im Botanischen Garten lernen sie nicht nur theoretisch, wie eine Calendula-Pflanze aussieht, sondern können sie auch anschauen und anfassen. Das Thema Ernährungsmedizin und Fasten ergänzen wir mit einem speziellen vegetarischen oder veganen Cateringangebot. An einem anderen Tag geht es um äußere Anwendungen der Anthroposophischen Medizin in der Pflege wie Wickelauflagen oder Einreibungen. Die Studierenden bekommen selbst einen oder zwei Wickel angelegt, sodass sie deren Wirkung auch aus der Patientenperspektive kennenlernen.

Im August 2020 bieten Sie an der Charité zum dritten Mal eine viertägige Summer School zur Integrativen Medizin für Ärzte, Pflegepersonal und Therapeuten an. Wie kam es dazu?
Die Summer School hat sich aus unseren Beobachtungen in der Ausbildung ergeben. Die Studierenden fanden die Kombination aus wissenschaftlicher Darstellung der Evidenzlage und praktischen Erfahrungen ebenso interessant wie hilfreich – und die Nachfrage nach diesen Kursen war außerordentlich groß. Es wurde deutlich, dass auch in professionellen Fachkreisen von Ärzten und Pflegenden Bedarf an diesen Themen besteht. Die Komplementärmedizin ist ja nicht unumstritten, deshalb finde ich es wichtig, die gesamte Diskussion auf adäquate wissenschaftliche Informationen und solide Erfahrungen zu stützen.

Klaus-Dieter Früchtenicht, Georg Seifert:
Von Anfang an gesund. Gesundheitskräfte natürlich stärken von null bis drei.
Hanser Verlag, 1. Aufl. 2020.