Die von uns geförderten Projekte sind
unsere Fenster in die Welt.

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Peer-to-Peer: Modellprojekt zur Beratung für und von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen

Vier Menschen sitzen an einem Tisch mit Lehrmaterialien und unterhalten sich
Foto: Lebenshilfe Berlin – Peer-Beratung

Nicht nur Sprichwörter wie „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ legen es nahe. Auch zahlreiche wissenschaftliche Studien haben gezeigt: Je ähnlicher uns andere Menschen sind, desto eher sind wir bereit, ihnen Vertrauen zu schenken oder mit ihnen zusammenzuarbeiten. Auf diesem Prinzip basiert die sogenannte Peer-Beratung, bei der sich Ratsuchende und Beratende auf Augenhöhe begegnen können. Denn: Als Peers („Gleiche“) haben sie Ähnliches erlebt, teilen Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen.

Entwicklung der Peer-Beratung
Erstmals erwähnt wurde der Begriff in den späten 1930er Jahren. Schon damals war man überzeugt, dass Menschen, die Alkoholismus selbst erfahren und überwunden hatten, andere Alkoholiker besonders wirkungsvoll in der Bewältigung ihres Alkoholproblems unterstützen können. So entstanden die „Anonymen Alkoholiker“ als erste Peer-Beratung. Heute ist die „Beratung von Betroffenen für Betroffene“ vor allem aus der Arbeit mit körperlich Beeinträchtigten bekannt. Ihre Historie ist eng mit der Bürgerrechtsbewegung beeinträchtigter Menschen verknüpft. Als „Independent-Living-Bewegung“ hat sie sich in den 1960er Jahren zunächst in den USA und später in vielen weiteren Ländern mit dem Ziel entwickelt, die volle gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen mit Beeinträchtigungen zu erreichen.

Inklusiver Arbeitsansatz der Lebenshilfe Berlin
Einen solchen „inklusiven Arbeitsansatz“ verfolgt seit 2015 auch die Lebenshilfe Berlin. Ihr Konzept zur Etablierung einer partizipativen Beratung für und von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist in der Bundeshauptstadt sowie überregional noch wenig verbreitet. Trotzdem gehe es der Initiative nicht in erster Linie darum, eine Versorgungslücke im Bereich der Peer-Beratung zu schließen, erklärt die Projekt-Verantwortliche Nicole Genandt. Man wolle vielmehr Selbstbestimmung und Selbstermächtigung von beeinträchtigten Menschen fördern. „Denn“, so weiß Genandt, „Menschen mit Beeinträchtigungen leben häufig in Abhängigkeitsverhältnissen und Hierarchiegefällen.“

Empowerment und Teilhabe für Ratsuchende und Beratende
In der Peer-Beratung treffen sie auf ein echtes Gegenüber, das in der Lage ist, ihre Fragen besser zu verstehen und zu beantworten als andere. Peers können ermutigen, Anreize geben und Vorbild sein. Sie bringen ihre eigenen Eindrücke und Ängste, aber auch ihr Selbstvertrauen und ihren Mut in das Beratungsgespräch mit ein. Das hilft nicht nur Ratsuchende mit Beeinträchtigungen in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken, „auch bei den Beratenden“, macht Nicole Genandt deutlich, „kann diese Form von Empowerment und Teilhabe eine positive Entwicklung bewirken: Sie werden als Experten in eigener Sache wahrgenommen und erleben Akzeptanz für ihre Erfahrungen sowie nicht zuletzt für ihre Persönlichkeit.“

Zehnmonatiges Schulungsprogramm
Zuvor müssen sie das Beraten jedoch erst lernen und sich für die Anforderungen dieser Arbeit qualifizieren. Ein entsprechendes zehnmonatiges Schulungsprogramm hat die Lebenshilfe mit der finanziellen Unterstützung von Aktion Mensch und Software AG – Stiftung  entwickelt sowie von April 2016 bis Januar 2017 erstmals durchgeführt. Ab April 2017 werden nun in den Themenschwerpunkten „Wohnen mit Assistenz“ und „Sucht“ geschulte Beraterinnen und Berater mit kognitiven Beeinträchtigungen das Beratungsangebot in Berlin erweitern. Sie alle sind neben ihrer Tätigkeit z.B. in einer Werkstatt für beeinträchtigte Menschen ehrenamtlich in der Lebenshilfe tätig und haben so die Möglichkeit, mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammenzuarbeiten.

Trägerübergreifendes Modellprojekt
Diesen partizipativen Ansatz will die Lebenshilfe Berlin, die 1960 durch engagierte Eltern von Kindern mit geistiger Beeinträchtigung als Selbsthilfe-Organisation gegründet wurde und heute das gesamte Spektrum der Behindertenhilfe abdeckt, nicht nur für ihr eigenes Beratungsangebot etablieren. Sie informiert trägerübergreifend Beratungsstellen und wirbt für den Einsatz von Peer-Beratern. Dadurch sollen regional Hemmschwellen für Ratsuchende mit einer kognitiven Beeinträchtigung abgebaut und eine Beratung auf Augenhöhe ermöglicht werden. Diese – so Projektleiter Konrad Lampart von der Software AG – Stiftung (SAGST) – sei wichtig, um die Lebenssituation von  beeinträchtigen Menschen zu verbessern. „Wir von der SAGST“, führt er weiter aus, „sind überzeugt, dass jeder Mensch mit seinen Möglichkeiten an der Gesellschaft teilhaben und einen Beitrag leisten darf. Vor diesem Hintergrund ist die Peer-Beratung der Lebenshilfe ein großartiges Modellprojekt, das bei der Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigungen neue Wege beschreitet und als inklusives Projekt Vorbildcharakter für andere Organisationen haben kann.“