Die von uns geförderten Projekte sind
unsere Fenster in die Welt.

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Pränatale Beratung: In Würde empfangen, bewusst Abschied nehmen

Kleine Füße in den Händen der Eltern
Foto: KinderPalliativTeam Südhessen

Im Anschluss an die Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung ihres Ungeborenen stehen werdende Eltern vor der Frage, ob sie ihr schwerstkrankes Kind austragen wollen. Die Neonatologin und Palliativmedizinerin Dr. Silke Ehlers vom Kinder Palliativ Team Südhessen bietet gemeinsam mit Hebamme Theresia Rosenberger und Seelsorgerin Anette Krüger betroffenen Paaren in dieser belastenden Situation eine wertfreie Beratung und zeigt ihnen mögliche Alternativen zum Schwanger-schaftsabbruch auf. Im Interview spricht das multiprofessionelle Team über die gegenwärtigen Herausforderungen seiner sensiblen Tätigkeit und erläutert, wie es Familien dabei unterstützen kann, die verbleibende Zeit mit ihrem Kind lebenswert sowie würdevoll zu gestalten.   

Die Nachricht, dass ihr Kind lebensverkürzend erkrankt ist, trifft werdende Eltern wie ein Schlag. Wie können Sie die Paare in dieser schweren Zeit unterstützen?
Dr. Silke Ehlers: In unserer täglichen Arbeit begegnen uns Mütter und Väter, die sich nach der Diagnose zunächst in einem akuten Schockzustand befinden. Sie wissen erst einmal nicht, wie es nun weitergehen kann und wenden sich daher mit ihren Fragen und Sorgen an uns. Diese werdenden Eltern begleiten wir in ihrem Entscheidungsprozess, klären sie über alle vorhanden Möglichkeiten auf – auch über Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch. Wir informieren sie über bestehende Hilfsangebote und unterstützen medizinisch sowie seelsorgerisch, insbesondere wenn der Wunsch besteht, das Neugeborene kennenzulernen und mit ihm – wenn auch nur für kurze Zeit – als Familie nach Hause zu gehen. Dabei arbeiten wir eng mit Kliniken oder Fachärzten zusammen. Die bestmögliche Lebensqualität für das Kind und seine Familie steht für uns stets im Vordergrund.

Welche Grundsätze verfolgen Sie bei der Begleitung betroffener Familien?
Anette Krüger: Wir beraten wertfrei und ergebnisoffen. Das spüren die Eltern auch, wenn sie mit ihren Ängsten und Sorgen zu uns kommen. Denn wir erwarten nicht, dass am Ende des Gesprächs eine Entscheidung fallen muss. Es geht uns vielmehr darum, alle Optionen zu beleuchten und zu signalisieren, dass wir – unabhängig von der Wahl, die getroffen wird, – hinter ihnen stehen. Das macht unser Beratungsangebot aus und unterscheidet es auch von anderen.

Wie viele Anfragen erreichen Sie aktuell?
Dr. Silke Ehlers: Seit 2012 erhält das Kinder Palliativ Team immer wieder Anfragen werdender Eltern, die im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge von einer lebensverkürzenden Erkrankung ihres noch ungeborenen Kindes erfahren. Lange Zeit wurden diese zusätzlich zur palliativen Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch Mitarbeitende des Stamm-Teams ehrenamtlich bearbeitet. Irgendwann war das aber nebenher nicht mehr zu schaffen. So entstand daraus ein eigenständiges Projekt – ein Team im Team sozusagen mit Spezialauftrag, das seit 2020 auf eigenen Beinen steht. Mittlerweile bekommen wir zwischen zwölf und 20 Anfragen pro Jahr, in Zeiten von Corona vorübergehend auch weniger.

Weshalb ist eine umfassende und frühzeitige Beratung so wichtig?
Anette Krüger: Ganz wesentlich ist vor allem, dass die Eltern auch langfristig mit ihrer Entscheidung leben können. Damit sie überhaupt in der Lage sind, eine solche zu treffen, brauchen sie umfassende Informationen über mögliche Alternativen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Zeit des Wartens zwischen einem ersten Verdacht und der Diagnose bestmöglich zu nutzen. Hierbei spielt wiederum die funktionierende Vernetzung unter den Fachkräften eine entscheidende Rolle. Denn sie sind es, die den individuellen Bedarf nach Beratung und psychosozialer Begleitung bei den Familien wahrnehmen und anschließend mit uns in Kontakt bringen können. Situationen, in denen keine Zeit für eine intensive Auseinandersetzung mehr bleibt, wollen wir unbedingt vermeiden.

Welche Unsicherheiten und Ängste begegnen Ihnen im Gespräch mit den werdenden Eltern?
Dr. Silke Ehlers: Im Anschluss an die Diagnose hören Paare nicht selten Aussagen wie „Lassen Sie Ihr Kind nicht leiden, tun Sie ihm und sich das nicht an.“ Wie sie darauf reagieren, ist natürlich verschieden, aber wir wissen, dass sich viele Eltern zunächst völlig verloren fühlen und so verunsichert sind, dass manche sich solche Worte sehr zu Herzen nehmen und auf dieser Basis ihre Entscheidung treffen. Bei den Überlegungen zu einer palliativen Geburt kommt häufig die Sorge hinzu, erstmalig mit dem Tod eines Menschen konfrontiert zu sein und damit nicht umgehen zu können. Auch beschäftigt die werdenden Eltern, wie sie mit einer Schwerstbehinderung ihres Kindes zurechtkommen sollen, sofern es nach der Geburt noch einige Zeit palliativ versorgt wird. Und natürlich brauchen sie dann die Gewissheit, dass ihr Neugeborenes zu keinem Zeitpunkt unnötig Schmerzen erdulden muss und sich das Kinder Palliativ Team um auftretende Symptome umfassend kümmern wird.

Theresia Rosenberger: Viele Mütter und Väter haben außerdem Angst davor, wie ihr Kind aussehen wird. Früher hat man gedacht, man tue der Mutter den größten Gefallen, indem man sie nach der Geburt gar keinen Blick auf ihr Baby werfen lässt und es möglichst schnell wegbringt. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Vor allem für Eltern eines schwerstkranken oder gerade verstorbenen Kindes kann es sehr heilsam sein, zu erleben, dass ihr Neugeborenes auf den ersten Blick vollkommen normal und wunderschön aussieht. Das ist ein ganz wichtiger Schritt für die anschließende Trauerarbeit.

Was möchten Sie den Eltern mit auf den Weg geben?
Dr. Silke Ehlers: Es ist uns ein großes Anliegen, dass die Eltern keine überstürzte Entscheidung fällen. Wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass ihr Kind nicht einfach weg ist – auch dann nicht, wenn es tot zur Welt kommt oder kurz nach der Geburt verstirbt. Es wird auf seine Weise immer bleiben und darf entsprechend Raum bekommen. Das brauchen auch Geschwister, Großeltern und andere Familienmitglieder. Seine Existenz sollte nicht – wie es nach Schwangerschaftsabbrüchen gelegentlich der Fall ist – totgeschwiegen werden. Das holt die Familien sonst irgendwann ein.

Theresia Rosenberger: Sich selbst als Eltern wahrzunehmen, halte ich für genauso zentral wie das bewusste Abschiednehmen von einem Kind. Dazu gehört natürlich auch der Abschied von gewissen Vorstellungen und dem idealen Familienbild, das ja in der Regel entsteht, wenn sich ein Paar bewusst für eine Schwangerschaft entscheidet. Hier kann man vorbereitend ganz viel tun, denn die Trauer beginnt schon mit der Diagnose. Dabei können wir den Eltern konkrete Anhaltspunkte und Ideen an die Hand geben, Kontakt zu anderen Betroffenen herstellen sowie gemeinsam einen palliativen Geburts- und Versorgungsplan erstellen. Auch bei der Gestaltung eines für die Familie passenden Abschieds sind wir auf Wunsch behilflich. Grundsätzlich wollen wir in all diesen Punkten die Mütter und Väter maximal entlasten, sodass sie neben dem ganzen Organisatorischen auch noch Zeit für andere Dinge, zum Beispiel zum Verarbeiten, haben.

Welche persönlichen Erlebnisse sind es, die Ihnen die Kraft für Ihre anspruchsvolle Aufgabe geben?
Theresia Rosenberger: Kraft geben vor allem die vielen positiven Rückmeldungen der betroffenen Paare, die Dankbarkeit, die sie uns entgegenbringen und das Gefühl, selbst Teil dieser ganz individuellen Geschichte gewesen sein zu dürfen. Als besonders positiv empfinde ich es, wenn uns die Eltern signalisieren, dass sie sich für das Richtige entschieden haben und den gewählten Weg genauso wieder gehen würden.

Dr. Silke Ehlers: Für mich ist auch immer wieder berührend zu spüren, wie entschlossen diese Eltern sind und mit welcher Stärke sie den eingeschlagenen Weg dann auch beschreiten. Auf diesem Weg der Sterbebegleitung sind wir immer wieder eng dabei und gehören zu den wenigen Personen, die das Kind kennenlernen durften. Das erlebe ich als ein echtes Geschenk, das mich motiviert, auch frustrierende Erlebnisse zu bewältigen und immer wieder weiter zu machen.

Was wünschen Sie sich mit Blick auf die Zukunft?
Anette Krüger: Ich würde mir wünschen, dass werdende Eltern nicht mehr so direktiv beraten werden, wie es aktuell noch häufig der Fall ist, und ihnen stattdessen alle Möglichkeiten, die sie haben, auch aufgezeigt werden. Dazu muss das Tabuthema Tod und Sterben gesellschaftlich aber noch stärker aufgebrochen werden.

Dr. Silke Ehlers: Wenn sich die Haltung der Pränataldiagnostik ein bisschen öffnen könnte und wahrgenommen wird, dass es neben dem Schwangerschaftsabbruch auch eine Alternative gibt, würde mich das sehr freuen. Die Voraussetzung dafür wäre eine bewusste Auseinandersetzung mit Behinderung sowie das Akzeptieren von Dingen, die von der Norm abweichen und dennoch natürlich sind. Außerdem möchten wir, dass unser Angebot in der Öffentlichkeit und auch bei den Fachkräften noch bekannter wird. Daran arbeiten wir aktuell.

 

Das Kinder Palliativ Team Südhessen mit Sitz in Frankfurt am Main versorgt und berät seit 2012 schwerstkranke Kinder sowie Heranwachsende ambulant in 14 Landkreisen der Metropolregion. Betreut durch ein multiprofessionelles Team aus ÄrztInnen, PflegerInnen und weiteren Fachkräften ermöglicht es unheilbar kranken Mädchen und Jungen, die ihnen verbleibende Zeit zu Hause zu verbringen. Neben einer lückenlosen medizinischen Betreuung in vertrauter Umgebung erhalten die jungen PatientInnen und ihre Angehörigen auch psychosoziale Hilfe. Betroffene Familien, die im Rahmen der Pränataldiagnostik von einer lebensverkürzenden Erkrankung ihres Kindes erfahren, werden durch ein spezialisiertes Team auf Wunsch bereits vor der Geburt unterstützt und bis zuletzt begleitet.