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Sensibel begleiten: Transitionsprozesse in der Kindheit

Prof. Dr. Stefanie Greubel
Foto: S. Fux

In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft aufzuwachsen, in der nichts so beständig ist wie der Wandel, geht für Kinder und Jugendliche heute früher denn je mit zahlreichen Veränderungen einher. Sie betreffen unterschiedliche Bereiche und finden u. a. bei Bildungsübergängen statt. Um diese gut bewältigen zu können, sind Mädchen und Jungen auf eine sensible Begleitung angewiesen – durch ihre Eltern sowie aufmerksame pädagogische Fachkräfte. Im Interview spricht Stefanie Greubel, promovierte Erziehungswissen-schaftlerin und Professorin für Kindheitspädagogik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, über den Schwerpunkt ihrer Forschung sowie die Bedeutung einer frühzeitigen Vermittlung von Selbstvertrauen und Zuversicht als wesentliche Ressource im Umgang mit herausfordernden Lebensphasen.

Frau Prof. Greubel, als Wissenschaftlerin setzen Sie sich seit vielen Jahren mit Transitionsprozessen auseinander. Welche Bedeutung haben diese Übergänge für die frühkindliche Entwicklung?
In entwicklungspsychologischen Forschungen ist man sich seit Langem einig, dass mit jedem Übergang wichtige Impulse freigesetzt werden, die sich auf den weiteren Lebensweg auswirken. Ältere Theorien wie die des Psychoanalytikers Erik Erikson zum Beispiel besagen, dass die Bewältigung von Krisen, von herausfordernden Entwicklungsphasen also, zur Bildung der eigenen Identität beiträgt. Die heutige Sicht auf Transitionsprozesse schließt diese Gedanken mit ein und versucht, Modelle zu entwickeln, die Menschen in Übergangssituationen begleiten und stärken können. Durch gesellschaftliche Veränderungen, die eine Zunahme von Transitionen in frühen Lebensjahren mit sich bringen, gewinnen diese Modelle an Relevanz. Der Eintritt in eine Betreuungsinstitution beispielsweise stellt für Familien einen großen Schritt dar und bringt einige Herausforderungen mit sich. Deshalb ist es heute umso entscheidender, sich diesem Themenfeld sowohl auf institutioneller als auch auf Ebene des Elternhauses zu widmen, um Kinder zu stärken und ihnen diese Übergänge zu erleichtern.

Wodurch sind Transitionen gekennzeichnet?
Eine Transition gleicht immer einem komplexen, dynamischen Prozess, der die Identität einer Person, einer Gruppe oder auch die eines ganzen Systems verändert. Übergänge regen sogenannte „Phasen intensivierten Lernens“ an, in denen wir die eigene Komfortzone verlassen und uns mit neuen Lebensumständen auseinandersetzen müssen. Mit normativen Lebensereignissen, wie etwa dem Eintritt in die Schule, sehen sich alle Mädchen und Jungen gleichermaßen konfrontiert. Vom frühen Verlust eines Elternteils hingegen sind nur einzelne Kinder betroffen. Beide Ereignisse müssen jedoch in einem Transitionsprozess verarbeitet werden, denn sie stellen bedeutsame biografische Erfahrungen dar, die die Bewältigung von Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern.

Welche sind das?
Übergänge tangieren drei Berührungsebenen. Dazu gehört neben der individuellen und interaktionellen auch die kontextuelle Ebene. Das heißt, der Wandlungsprozess, in dem sich ein Kind befindet, hat Einfluss auf seine Persönlichkeit bzw. seinen Status innerhalb einer Gruppe. Daraus ergeben sich wiederum neue Rollen und Aufgaben, weil sich auch die Erwartungen des Gegenübers an das Kind und seine Fähigkeiten verändern. Hinzu kommt, dass andere Bezugspersonen die bisherigen ablösen und sich somit Beziehungen sowie die soziale und kulturelle Lebensumwelt des Kindes neu gestalten, genauso wie der Aktionsraum, in dem es sich bewegt.

Durch welche Faktoren wird der Verlauf solcher Transitionsprozesse beeinflusst?
Forschungen, die Transitionsprozesse in den Blick nehmen, nutzen meist einen interdisziplinären Zugang und betrachten die Prozesse beispielsweise aus der pädagogischen, soziologischen oder psychologischen Perspektive. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist das Konzept der sogenannten Risiko- und Schutzfaktoren interessant. Sie begleiten uns ein Leben lang, können angeboren sein oder durch persönliche Erfahrungen erworben werden. Faktoren, die sich sowohl positiv als auch negativ auf die Entwicklung auswirken, sind beispielsweise die Qualität unserer Beziehungen sowie die eigene gesundheitliche Verfassung. Aber auch Persönlichkeitsmerkmale oder Charaktereigenschaften haben eine große Relevanz. Zusammengenommen machen sie ein Paket aus, das darüber entscheidet, wie jemand fürs Leben aufgestellt ist. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Kapital“ einer Person. Aus pädagogischer Perspektive sind diese Theorien hilfreich für die pädagogisch sinnvolle Begleitung von Heranwachsenden. Eine stärkende Haltung der Erwachsenen gehört damit zu den wichtigsten Faktoren, die eine gelingende Transition bedingt.

Womit können Erwachsene die Kinder in ihrem Entwicklungsprozess gezielt unterstützen?
Im Gespräch mit Eltern und Studierenden betone ich immer wieder die besondere Rolle und Verantwortung des sozialen Netzwerks für die Ausbildung einer Persönlichkeit. Pädagog:innen und Eltern haben als zentrale Bezugspersonen die Aufgabe, den „Rucksack“ eines Kindes mit Selbstbewusstsein, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie mit verlässlichen Bindungen zu füllen. Die Kernbotschaft, die wir allen Kindern daher frühzeitig mit auf den Weg geben sollten, lautet: „Egal, was passiert, du kannst dich immer auf mich verlassen.“ Denn sie sollen wissen, dass, auch wenn mal etwas schiefgeht oder sie sich um etwas sorgen, sie jederzeit mit einer vertrauten Person sprechen und mit ihrer Hilfe schauen können, wie sich das Problem lösen lässt. Solange Kinder dieses Gefühl tief verwurzelt in sich tragen, spüren sie auch, dass ihnen im Grunde nichts Ernsthaftes passieren kann. Genau das ist die Ressource, die sie brauchen, um Krisensituationen gut zu bewältigen.

Wie lässt sich diese Erkenntnis auf den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule übertragen?
Dieser Prozess stellt eine sensible Phase für viele Kinder dar. Sie nehmen mitunter wahr, dass der Einflussbereich ihrer Eltern abnimmt und leistungsbezogene, externe Bewertungen eine größere Rolle spielen. Enttäuschungen und Ungerechtigkeiten werden nun auf einer anderen Ebene verarbeitet, aber auch Erfolg und Lob tragen zu einer Kompetenz der eigenen Selbstbildung bei und es werden Strategien zum Umgang mit diesen Rückmeldungen gebildet. Die zentrale Kraftquelle ist in dieser Zeit deshalb ein sie bestärkendes Umfeld. Als Experten für ihr Kind unterstützen Eltern es daher am wirkungsvollsten, indem sie einerseits Ratgeber sind, ohne jedoch sofort „das Heft in die Hand zu nehmen“. Andererseits sollten sie dem Kind das Gefühl vermitteln können, an dem neuen Ort gut aufgehoben zu sein, und ihm zeigen, wie man Belastungen aushält bzw. sie ausgleichen kann. Dabei brauchen auch manche Eltern Unterstützung, weil sie sich mit der neuen Lebenssituation noch nicht angefreundet haben, sie selbst schlechte Erfahrungen gemacht haben oder ihrem Kind aus anderen Gründen die Schulfähigkeit noch nicht zutrauen. Deshalb ist es wesentlich, dass die Bezugspersonen in den Übergangsprozess eingebunden sind, durch die pädagogischen Fachkräfte begleitet und über die jeweils nächsten Schritte transparent informiert werden.

Wie kann eine solche Unterstützung für Mütter und Väter aussehen?
Abhängig von der altersbiografischen Phase, in der wir uns befinden, kann ein Übergang für einen Erwachsenen sogar noch schwieriger sein als für ein Kind – je nachdem, um welche Art von Transition es sich handelt und welche Ressourcen im Umgang damit vorhanden sind. Hier gilt es, Übergangsmodelle zu entwickeln, die alle Beteiligten einbeziehen und die Familien dort abholen, wo sie stehen. Aus der Praxis der Übergangsgestaltung von der Familie in die Kita kennen wir Patenschaften. Mütter oder Väter, deren Kinder bereits eingewöhnt sind, begleiten dann Eltern, die sich erstmalig in diesem Ablösungsprozess befinden. Auch für den späteren Übergang in die Schule kann es hilfreich sein, mit Menschen in Kontakt zu kommen, denen das System Schule vertraut ist. Dies ist besonders für die Familien wichtig, deren kultureller Hintergrund keinen Erfahrungsschatz über das deutsche Schulsystem bereithält.

Wie viel dürfen Eltern und Fachkräfte einem Kind dabei „zumuten“?
Darüber entscheiden immer Alter und der persönliche Entwicklungsstand eines Kindes. Für die einen ist es eine Mutprobe, mit acht Jahren allein in die Bäckerei zu gehen und Brötchen zu kaufen, die anderen wollen das schon ganz früh selbstständig tun. Deshalb gilt, dass wir jedes Kind seinem eigenen Tempo entsprechend unterstützen und signalisieren: „Du bist okay, so wie du bist.“ Selbstverständlich müssen wir Heranwachsenden aber auch etwas zutrauen. Denn es ist wichtig, dass sie bestimmte Erfahrungen zu gegebener Zeit machen, damit sie nicht sehr viel später plötzlich überfordert sind. Schließlich sollen sie auch lernen, sich im Leben zurechtzufinden. Wir Erwachsene können Kinder beim Üben in einem geschützten Raum begleiten, ihnen zeigen, worauf in bestimmten Situationen zu achten ist oder wie man sich angemessen verhält. Wenn sie wissen, was sie erwartet und sie sich sicher fühlen, sind sie in der Lage, aus ihren Erfahrungen heraus viele Stärken zu entwickeln.

Welche sind das bzw. woran lässt sich erkennen, dass eine Transition erfolgreich verlaufen ist?
Übergänge sind sehr individuelle Prozesse, die in Abhängigkeit von vielen verschiedenen Faktoren unterschiedlich zu bewerten sind. Je nachdem, welche Ressourcen ein Mensch mitbringt, variieren auch die Dauer und Intensität einer Transition. Bezogen auf den Wechsel in eine neue Bildungseinrichtung kann man diese als abgeschlossen betrachten, wenn sich das Kind dort grundsätzlich wohlfühlt, neue Freundschaften geschlossen hat, explorationsfreudig bzw. wissbegierig ist und überwiegend fröhlich gestimmt ist.

 

Mehr Informationen zum Fachbereich Bildungswissenschaft sowie dem in Voll- und Teilzeit zu absolvierenden Studiengang Kindheitspädagogik finden sich auf der Website der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Welche Arbeitsfelder sich im Anschluss an ein solches Studium eröffnen, zeigt dieses Video exemplarisch in zwei Porträts auf.