Weidenhof Hitzacker: Ein Zuhause auf Lebenszeit für erwachsene Autisten

Ruhig, naturnah und fernab großer Städte liegt der Weidenhof in Seerau bei Hitzacker. Inmitten der Weiten des niedersächsischen Wendlandes bietet der ehemalige Bauernhof autistischen Erwachsenen ein Zuhause auf Lebenszeit. Im Jahr 1983 wurde die stationäre Einrichtung als deutschlandweit erste ihrer Art von der Hamburger Stiftung Irene gegründet. Durch einen Erweiterungsbau, eingeweiht im Dezember 2019, ist sie heute mit insgesamt drei Standorten in der Kleinstadt gleichermaßen Wohn- und Arbeitsort für 41 Menschen mit Autismus.
Die Erscheinungsformen des autistischen Spektrums sind vielfältig und äußerst unterschiedlich. Was jedoch auf alle Bewohner des Weidenhofs zutrifft, sind Einschränkungen im Sozialverhalten, der sinnlichen Wahrnehmung sowie im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen und Kommunikation. Aufgrund ihrer ausgeprägten Sensibilität fällt es den Männern und Frauen häufig schwer, die eigenen Emotionen zu regulieren und sich ihrem Umfeld mitzuteilen oder anzupassen. Der Aufbau von Beziehungen stellt vor diesem Hintergrund eine immense Herausforderung dar. Umso wichtiger sind feste Strukturen, geregelte Tagesabläufe mit einem gleichbleibenden Rhythmus und möglichst wenige Abweichungen. Bereits kleinste Veränderungen können bei den Betroffenen Angst- und Panikzustände hervorrufen oder Auslöser für aggressives, mitunter selbstverletzendes Verhalten sein. Um den besonderen Anforderungen der Menschen mit Autismus gerecht zu werden, braucht es daher verlässliche und professionelle Begleiter mit viel Erfahrung, Geduld und Einfühlungsvermögen.
Die Nachfrage nach spezialisierten stationären Wohnmodellen für autistische Menschen ist groß. Denn viele Einrichtungen der Behindertenhilfe sind nicht darauf ausgelegt, diese Personengruppe adäquat zu betreuen. Deshalb entschied sich die gemeinnützige Stiftung Irene als langjähriger Träger des Weidenhofs mit großer fachlicher Expertise für eine Ausweitung der Wohn- und Arbeitsplätze: Ein mehr als 600 m² großer Neubau, an dessen Finanzierung sich auch die Software AG – Stiftung in Darmstadt beteiligte, bietet seit Dezember 2019 Raum für acht Bewohner – sowohl in Wohngruppen als auch in Einzelappartements. Dabei kommt gerade die ebenso stadt- wie naturnahe Lage auf einem bewaldeten Grundstück, das einmal als Baugrund für Ferienwohnungen vorgesehen war und ruhesuchenden Großstädtern zur Erholung dienen sollte, den Bedürfnissen der Neueingezogenen sehr entgegen – auch im Hinblick auf die Freizeitgestaltung.
Darüber hinaus umfasst das neue multifunktionelle Gebäude, in dem sich nun ebenfalls die zentrale Verwaltung des Weidenhofs befindet, neben dem Wohnangebot auch arbeitstherapeutische Werkstätten. Im Garten, in der Küche sowie künftig auch in einer Wäscherei können die Bewohner mitwirken und begleitet von derzeit 14 neu eingestellten Fachkräften schrittweise selbstständiger werden. „Hierdurch erlernen sie lebenspraktische Kompetenzen in festen Strukturen, die ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln“, erklärt Susanne Müller-Deile. Die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Irene weiß aus eigener familiärer Erfahrung, dass es viele Monate und manchmal sogar Jahre dauern kann, bis die Bewohner auch emotional angekommen sind. Die Voraussetzungen hierfür seien auf dem Weidenhof jedoch sehr gut. „Schließlich sieht das sozialtherapeutische Konzept vor, das gemeinsame Einleben im neuen Zuhause persönlich und im geschützten Rahmen zu begleiten.“ Dabei gelte es, die Bewohner trotz aller Einschränkungen behutsam auf eine möglichst selbstbestimmte Teilhabe am Sozialraum hinzuführen. „Nur so“, macht Müller-Deile deutlich, „können gegenseitige Annäherung und Akzeptanz im Wohnumfeld gelingen.“