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Wie können Selbstheilungskräfte erfasst und unterstützt werden?

Porträt von Doktor Matthias Kröz
Priv. Doz. Dr. Matthias Kröz

Die Komplementärmedizin erfreut sich großer Beliebtheit und Akzeptanz: Viele Patientinnen und Patienten setzen auf sanfte Methoden und alternative Ansätze, auch wenn deren Wirksamkeit bisher teilweise nicht systematisch erforscht ist. Priv. Doz. Dr. Matthias Kröz vom Gemeinschafts-krankenhaus Havelhöhe in Berlin hat mit seiner Habilitation „Psychometrische Methoden zur Evaluation der Integrativen Medizin“ untersucht. Die wissenschaftliche Arbeit an der Universität Witten/Herdecke wurde von der Software AG – Stiftung gefördert.

Herr Dr. Kröz, herzlichen Glückwunsch zur Erlangung der Venia Legendi! Können Sie für Laien kurz das Thema Ihrer Habilitation erläutern?

Vielen Dank für die Glückwünsche! Vereinfacht ausgedrückt ging es um folgende Frage: wie gelingt es, dass die konzeptionellen Grundlagen der Integrativen Anthroposophischen Medizin mittels Patientenfragebögen evaluieren werden können? Um es noch einmal zu verdichten: uns ging es darum herauszubekommen, wie Selbstheilungskräfte patientenbezogen erfasst und in ihrem Stellenwert untersucht werden können.

In Ihrer Habilitation führen Sie aus, dass trotz der hohen Akzeptanz von Naturheilverfahren ein Mangel an wissenschaftlicher Evaluation der sogenannten Komplementärmedizin besteht. Warum ist das so?

Die Komplementärmedizin ist von ihrer Geschichte her vielfach eine Erfahrungsheilkunde gewesen und war lange nicht Bestandteil der universitären Forschung. Dazu kommt, dass es in Europa bislang wenig öffentliche Mittel für die Evaluation der Komplementärmedizin gab, Stiftungen wie beispielsweise die Software AG – Stiftung haben hier bislang vor allem die grundlegende Forschung ermöglicht. Es gibt einige Leuchtturm-Forschungen wie beispielsweise die ACUSAR-Akupunkturstudie von Professor Brinkhaus, die erste Studie zur komplementären Medizin, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde. Die Studie bestätigte wissenschaftlich, dass Akupunktur beim Heuschnupfen wirksam ist. Insgesamt muss man sagen, dass erst in den letzten 20 Jahren eine akademische Gemeinschaft zum Thema entstanden ist, vielfach ermöglicht durch Stiftungen. Wir sprechen also immer noch von einer Pionierarbeit hier in Europa, in den USA ist die Situation anders.

Sie bewegen sich mit Ihrer Forschung im Bereich der Integrativen Medizin, die konventionelle Medizin und die verschiedenen Richtungen der Komplementärmedizin verbinden möchte. Was ist das Besondere dieser Richtung? Verbirgt sich dahinter auch ein anderes Menschenbild?

Bei der Komplementärmedizin (im angloamerikanischen Sprachgebrauch wird von Complementary and Alternative Medicine oder CAM gesprochen) handelt es sich um Verfahren, die im Diskurs mit der konventionellen wissenschaftlichen Medizin stehen und bereit sind, sich einer wissenschaftlichen Evaluation zu unterziehen. Hierzu zählt auch die Anthroposophische Medizin, die ihren Ansatz mit einer modernen konventionellen Medizin verbindet und in diesem Sinne eine Integrative Medizin ist. Wichtig ist bei dieser Definition der erweiterte Blickwinkel: wie können wir Selbstheilungskräfte gezielt unterstützen, wie die Individualität und die biographische Situation der Patienten mit einbeziehen? Und welche Rolle spielt das Verhältnis von Arzt und Patient?

Das pathogenetische Prinzip untersucht, was den Menschen krank macht und wie ihm geholfen werden kann, das salutogenetische Prinzip dagegen fragt, was den Menschen gesund hält und wie Selbstheilungsressourcen aktiviert werden können. Was sind die qualitativen Unterschiede dieser beiden Prinzipien? Welche Rolle spielen sie in Ihrer Forschung und in der Integrativen Medizin?

Wenn wir über Untersuchungen beispielsweise Blutdruck- oder Hormonentgleisungen herausfinden, die den Menschen krank machen oder seine Gesundheit bedrohen, ist das therapeutische Ziel aus Sicht der Pathogenese diese Blutdruckentgleisung oder Hormonstörung wieder im physiologischen Normbereich einzustellen. Dieses Prinzip ist natürlich vollgültig und Grundlage unserer täglichen Arbeit in der Klinik. Die andere Seite ist das Modell der Salutogenese nach Antonovsky, das fragt, was den Menschen gesund erhält und wie die im Menschen vorhandenen seelischen oder persönlichkeitsbezogenen Selbstheilungskräfte gezielt unterstützt werden können. Als einen weiteren, dritten Aspekt möchte ich die Hygiogenese nennen, die auf der Arbeit des ehemaligen Marburger Arbeitsphysiologen Gunther Hildebrandt fußt. Dabei geht es darum in der menschlichen Physiologie Selbstordnungen (Adaptation und Regulation) aufzufinden, die der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit dienlich sind. Ansatzpunkte sind die Rhythmen, also zeitbiologische Prozesse wie beispielsweise zur Tagesaktivität und Schlaf und der damit verbundenen Erholung.

In der Medizin im Allgemeinen und in der Integrativen Medizin im Besonderen haben alle diese drei Aspekte eine große Bedeutung, weil sie unseren ärztlichen Alltag ganz grundsätzlich bestimmen. Die Pathogenese ist Grundlage vielfältigen ärztlichen Handelns. Die Hygiogenese wird unter anderem von anthroposophischen Arzneimitteln wie beispielsweise Mistelextrakte oder körperorientierte Therapien aktiviert. Künstlerische Therapien, Heileurythmie oder Psychotherapien wirken  in unterschiedlicher Weise auch über die seelisch-geistige Ebene und somit im Sinne der Salutogenese.

Wie können die angesprochenen Selbstheilungsressourcen erfasst werden, welche Rolle spielen die von Ihnen entwickelte Fragebogeninstrumente hierbei?

Wir haben in der onkologischen Forschung auf der einen Seite pathogenetische Fragebögen evaluiert wie beispielsweise zur krebsassoziierten Müdigkeit. Für die salutogenetischen Prinzipien haben wir einen Fragebogen von Grossarth-Maticek und Eysenck reevaluiert, der Selbstregulation als zielorientierte und Wohlbefindens-orientierte Verhaltensveränderung reflektiert. Damit können wir gesundheitsfördernde Verhaltensanregungen untersuchen, die vielfältig Grundlage unserer ärztlichen Intervention sein können.  Kurz gesagt geht es darum herauszubekommen, wie Menschen mit Erkrankungen umgehen. In einem zweiten Fragebogen zur Internen Kohärenz (ICS)  fragen wir, ob betroffene Patienten den Eindruck haben, auf dem richtigen Weg zu sein, ob sie den Mut haben, die Erkrankung durchzutragen und inwieweit sie mit ihren innersten Wünschen im Einklang sind. 

Für die hygiogenetische Fragerichtung gab es bisher vor allem physiologische oder körperliche Messtechniken. Mit dem Fragebogen zur autonomen Regulation können wir nunmehr Patientenbezogen vegetative und körperliche Funktionen zur Ruhe/Aktivitätsregulation, Herz-Kreislauf-Regulation und Verdauung erfassen. Somit erfragen wir körperliche Funktionen dicht an den Gesundheitsprozessen. Dies ist eine wichtige Ergänzung für ein mehrschichtiges Herangehen an Gesundheit und Krankheit.

Welche Impulse auf Wissenschaft und medizinische Praxis erhoffen Sie sich mit Ihrer Forschung?

Im Vordergrund steht die Frage, was wir im Rahmen der Integrativen Medizin daraus lernen können. Wir können offenbar damit Konstitutions- und Selbstheilungsprozesse aus Sicht der Anthroposophischen Medizin besser abbilden und in Bezug auf ihre Outcome-Relevanz, also Wirkungen, besser darstellen. Ich erhoffe mir, dass wir mit den Methoden einen Beitrag leisten können, diese medizinische Richtung weiterzuentwickeln, gerade auch im Diskurs mit der traditionellen universitären Medizin. Damit werden Grundlagen für neue Untersuchungen zu Wirkungen und Wirksamkeit u.a. von Eurythmietherapie, künstlerischen oder pflegerischen Therapien der anthroposophischen Medizin, aber auch zur Medikamentenforschung gelegt.

Vielen Dank für das  Gespräch!

Weitere Informationen zum Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin an der Universität Witten/Herdecke.