Zwischen Kollaboration und Widerstand: Neue Studie zur anthroposophischen Ärzteschaft in der NS-Zeit
Welche Rolle spielte die Anthroposophische Medizin während des NS-Regimes? Welche Stellung hatte sie innerhalb der damaligen Gesundheitspolitik, die unter der Bezeichnung „Neue Deutsche Heilkunde“ Anfang der 1930er-Jahre einen Zusammenschluss von „Schulmedizin“ und Naturheilkunde in Aussicht stellte? Und wie positionierten sich anthroposophische ÄrztInnen in dieser Zeit? Antworten auf diese Fragen gibt das Forschungsprojekt „Anthroposophische Medizin, Pharmazie und Heilpädagogik im Nationalsozialismus“. Acht Jahre lang haben Prof. Dr. Peter Selg, Susanne H. Gross und Matthias Mochner zahlreiche Archive gesichtet und auch bislang unveröffentlichte Unterlagen analysiert, um ein möglichst vollständiges Bild der damaligen Situation zeichnen zu können. Beraten wurden sie dabei von zwei Medizinhistorikern der Charité, Prof. Dr. Thomas Beddies und Prof. Dr. med. Heinz-Peter Schmiedebach.
Der jetzt in Berlin vorgestellte erste Teil der auf insgesamt drei Bände ausgelegten Studie konzentriert sich auf die anthroposophischen MedizinerInnen. Das im Schwabe Verlag veröffentlichte Buch mit dem Titel „Anthroposophie und Nationalsozialismus. Die anthroposophische Ärzteschaft“ beleuchtet die historische Entwicklung vor 1933 sowie die komplexe Dynamik nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die dargelegten Lebenswege reichen dabei von Beispielen der Kollaboration über engagierten Widerstand gegen den NS-Staat bis hin zu Fluchterfahrungen anthroposophischer ÄrztInnen jüdischer Herkunft.
Ermöglicht wurden Untersuchung und Publikation durch eine Reihe von Fördernden, darunter auch die Software AG – Stiftung. Die Präsentation des ersten Bandes fand am 23. Mai 2024 in den historischen Räumlichkeiten des ehemaligen Rudolf-Virchow-Hörsaals des Medizinhistorischen Museums der Charité statt. Im anschließenden Podiumsgespräch diskutierte Prof. Dr. Peter Selg für das Autorenteam mit Thomas Beddies, Dr. Astrid Ley (stellvertretende Leiterin der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen) und Prof. Dr. Florian Bruns (Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden) die neu gewonnenen Erkenntnisse und ihren Beitrag zur Erforschung der NS-Medizin. Die Moderation übernahm die Medizinjournalistin Sybille Seitz.
Peter Selg, Susanne H. Gross, Matthias Mochner: Anthroposophie und Nationalsozialismus. Die anthroposophische Ärzteschaft, Schwabe Verlag, Basel/Berlin 2024.