Beheimatet und naturverbunden von Anfang an: Wald- und Wiesenkindergarten urwüchsig e. V.

Kinder pflegen die Beete im Garten
Foto: urwüchsig e. V.

Der Natur nahe sein, sie schätzen und behüten – dieses pädagogische Ziel verfolgt der gemeinnützige Verein urwüchsig e. V. mit seinem im April 2022 eröffneten Wald- und Wiesenkindergarten in der Rhein-Neckar-Region. Mädchen und Jungen ab drei Jahren bietet die Elterninitiative einen vielfältigen Erlebnisraum, in dem verantwortungsvolles Handeln und eine lebendige Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen. Im Interview sprechen die Vorständinnen Stefanie Celic, Lisa Sand und Kathrin Goßmann über ihre Gründungsgeschichte und wie es gelingen kann, Heranwachsende schon früh für Klima- und Umweltschutz zu sensibilisieren.

 

Frau Celic, als Mutter waren Sie auf der Suche nach einem freien Platz im Waldkindergarten. Heute, rund zwei Jahre später, sind Sie fündig geworden – allerdings ganz anders als zunächst gedacht. Was ist in der Zwischenzeit geschehen?
Stefanie Celic: In der gesamten Rhein-Neckar-Region gab es damals keinen einzigen freien Platz in den bestehenden Einrichtungen. Um meiner Tochter und auch anderen Familien kurzerhand eine Lösung bieten zu können, habe ich zunächst einen Eltern-Kind-Treff im Wald ins Leben gerufen. Innerhalb dieser Gruppe, der auch meine langjährige Freundin und heutige Vorstandskollegin Lisa Sand angehörte, entstand dann relativ schnell die Idee, es einfach selbst anzupacken und einen eigenen Waldkindergarten zu gründen. Als die Planungen mit der Stadt Mannheim, die uns einen passenden Ort zur Verfügung gestellt hat, bereits in vollem Gange waren, kam allerdings die Ernüchterung. Denn der Betreuungsbedarf ist derart groß, dass nur Kinder, die im Stadtgebiet wohnen, auch einen Platz bekommen können – für meine eigene Tochter war das folglich das Aus.

Wie ging es nach diesem Rückschlag weiter?
Stefanie Celic: Ich hatte von einem nahe gelegenen Wiesenkindergarten gehört und anschließend dort mein Glück probiert. Doch auch da lautete die Antwort: „Keine Chance, nur ortsansässige Kinder.“ Folglich dachte ich mir „Was man dort kann, können auch wir schaffen!“ Bei der Gemeinde Edingen-Neckarhausen, in der meine Familie lebt, sind wir mit unserem Anliegen dann direkt auf offene Ohren gestoßen und seither zweigleisig gefahren – frei nach dem Motto „Ganz oder gar nicht“.

Lisa Sand: Denn es war uns vollkommen klar, dass wir niemanden aus dem Planungsteam auf der Strecke lassen würden. Im Nachhinein hat sich allerdings die Annahme, dass es gar keinen großen Unterschied macht, ob wir nun eine oder gleich zwei Einrichtungen eröffnen, vielleicht als etwas naiv erwiesen. Trotzdem bin ich froh, dass wir so optimistisch an dieses Projekt herangegangen sind, für das sich der hohe Arbeitsaufwand und die zahlreichen kurzen Nächte in jeder Hinsicht gelohnt haben. Schließlich ist aus dem scheinbaren Unglück ein zweiter Naturkindergarten mit einem eigenen pädagogischen Profil erwachsen, der unsere ursprünglichen Erwartungen noch übertrifft.

Welche Vision verbinden Sie mit Ihren beiden Naturkindergärten?
Kathrin Goßmann: Sowohl der Wald als auch die Wiese stellen zwei riesengroße Schatzkammern dar, die es rund ums Jahr mit den Kindern zu entdecken gibt. Das intuitive Spiel im Freien und der intensive Umgang mit Naturmaterialien regen dabei die natürliche Bewegungsfreude an. Viele Ideen entstehen in dieser Umgebung oftmals spontan und lassen sich gemeinsam mit den Pädagoginnen und Pädagogen kreativ umsetzen. Besonders schön ist, dass die Kinder durch die enge Zusammenarbeit der zwei Gruppen regelmäßig in beide Welten eintauchen können.

Lisa Sand: Wunderbar zu beobachten ist auch, dass die Mädchen und Jungen in dieser Umgebung auf spielerische Weise für so komplexe Themen wie Natur- und Klimaschutz sensibilisiert werden. Das halten wir gerade mit Blick auf die drängenden Herausforderungen unserer Zeit für besonders wichtig. Denn hier lernen sie, achtsam mit der Umwelt, den Menschen in ihrer Gemeinschaft, aber auch mit Tieren und Lebensmitteln umzugehen.

Welche Werte möchten Sie den Kindern außerdem vermitteln?
Stefanie Celic: Im Zentrum des pädagogischen Handelns in unseren Gruppen steht ein bedürfnisorientierter und respektvoller Umgang. Dazu zählt auch, dass wir jede Person ernstnehmen und niemanden aus dem Blick verlieren. In diesem Sinne werden Kinder bei uns u. a. ganz bewusst in Entscheidungsprozesse eingebunden.

Lisa Sand: Genauso wesentlich wie eine Begegnung auf Augenhöhe ist für uns, dass die Kinder Selbstwirksamkeit erfahren. Damit das gelingt, werden sie von den Pädagoginnen und Pädagogen positiv in ihrem Tun begleitet und darin bestärkt, dass sie – egal ob groß oder klein, laut oder leise – schon viele Dinge schaffen können. An diesem Gefühl und unserem Zutrauen wachsen sie jeden Tag ein kleines Stück. Das ist ein wahres Geschenk fürs Leben, das wir Erwachsene ihnen mit auf den Weg geben können.

Der Kindergartenalltag beschränkt sich nicht nur auf Wald und Wiese, sondern bezieht auch das Umfeld in die Pädagogik mit ein. Welche zusätzlichen Möglichkeiten ergeben sich hieraus?
Kathrin Goßmann: Wir möchten den Kindern ein naturnahes und abwechslungsreiches Erlebnisfeld bieten, das die Fantasie anregt und Abenteuerlust weckt. Durch die Kooperation mit umliegenden Bauernhöfen lernen sie den regionalen Acker-, Obst- und Gemüsebau sowie ökologische Zusammenhänge hautnah kennen. Vor Ort dürfen sie tatkräftig mit anpacken und können so ein Gefühl für die Kreisläufe in der Natur entwickeln. Darüber hinaus werden unsere Kinder vom benachbarten Landwirt eingeladen, beim Eiersammeln zu helfen, die Schweine zu streicheln oder ihm beim Imkern über die Schulter zu schauen. So erfahren sie ganz nebenbei viel Spannendes über die dort lebenden Tiere und ihre artgerechte Haltung auf dem Hof.

Lisa Sand: Beim Säen, Pflegen und Ernten auf unserem Wiesengrundstück werden wir außerdem vom Bildungsprogramm AckerRacker unterstützt. Fünf Jahre lang erhalten wir von den Profis regelmäßig wertvolle Tipps zum Anbau von Kartoffeln, Kürbissen und Co. im eigenen Nutzgarten. Im Anschluss an die Ernte bereiten unsere Pädagoginnen und Pädagogen dann mithilfe vieler kleiner Hände leckere Mahlzeiten an der selbstgebauten Feuerstelle zu. Hierdurch wird das Bewusstsein der Kinder für eine gesunde Ernährung nachhaltig gestärkt.

In Ihrer Initiative findet auch eine enge Zusammenarbeit der pädagogischen Fachkräfte mit den Eltern statt. Welchen Unterschied macht das für die Kinder und ihre Familien?
Stefanie Celic: Kinder im Vorschulalter orientieren sich eng an ihren erwachsenen Vorbildern. Bei den Arbeitseinsätzen, die oft am Wochenende stattfinden, können sie immer wieder beobachten, was es heißt, sich gemeinsam für etwas einzusetzen und dieselben Ziele zu verfolgen. Dabei lernen sich auch die Familien und pädagogischen Fachkräfte besser kennen. Durch die geteilte Verantwortung entsteht dabei ein wachsendes Gefühl der Verbundenheit. Das spüren natürlich auch die Kinder. Hinzu kommt, dass jede Familie ein unglaubliches Potenzial und ganz verschiedene Expertisen einbringt und diese Vielfalt – persönlicher, beruflicher oder auch kultureller Art – von allen als echte Bereicherung wahrgenommen wird.

Kathrin Goßmann: Gleichzeitig leben wir im Alltag eine sehr offene Kommunikationskultur, die über Tür- und Angel-Gespräche weit hinausgeht. Als Familie fühlt man sich ernsthaft gesehen und gehört. Dazu trägt der enge gegenseitige Austausch darüber, wie es den Kindern geht, welche Themen sie aktuell beschäftigen und worin ihre Bedürfnisse bestehen, ganz entscheidend bei.

Mit Blick nach vorne: Welche Entwicklung wünschen Sie sich mittel- und langfristig für Ihre noch junge Initiative?
Lisa Sand: In unseren Köpfen gibt es noch zahlreiche Visionen, die wir Schritt für Schritt zum Leben erwecken möchten – darunter zum Beispiel die weitergehende Einbindung unserer Kindergärten in den Sozialraum. Ein Wunsch wäre daher die intergenerative Zusammenarbeit mit Seniorinnen und Senioren. Auch wollen wir Demokratie und Friedensbildung in unser konzeptionelles Arbeiten aufnehmen und in den Alltag mit den Kindern praktisch einbinden.

Was wünschen Sie sich für die Entwicklung der pädagogischen Landschaft insgesamt?
Stefanie Celic: Ich würde mich sehr freuen, wenn künftig noch viele andere Einrichtungen, das Naturerleben in den Mittelpunkt ihrer Pädagogik stellen. Dazu gehört für mich auch, dass von staatlicher Seite mehr Möglichkeiten geschaffen werden, die sowohl finanziell als auch beratend die Umsetzung erleichtern.

Lisa Sand: Von den Erwachsenen – pädagogische Fachkräfte und Eltern außerhalb unserer Reihen – würde ich mir wünschen, dass sie ihre Haltung noch mehr an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten. Das bedeutet für mich zum Beispiel, dass diese sich auch mal nach Herzenslust nass und dreckig machen dürfen, wenn es darum geht, die Welt mit allen Sinnen zu begreifen. Denn es gibt kaum etwas Schöneres als ein Kind, das einem von Kopf bis Fuß mit Matsch bedeckt freudestrahlend und mit jeder Menge Abenteuern im Gepäck entgegenläuft.