Fruchtbares Saatgut als Lebensgrundlage – nur gemeinsames Engagement kann Zukunft sichern

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Foto: C. Fischer

Kulturgutexpress 2014: Samenfestes Saatgut auch im Bio-Landbau nicht selbstverständlich – Erhalt des Lebendigen braucht Forschung und Engagement – Finanzierung muss von allen Marktteilnehmern gemeinsam getragen werden

Eine Umkehrung hat das Saatgut in den vergangenen Jahrzehnten erlebt: Nicht Bauern und Gärtner kümmern sich um die Vermehrung, geben weiter und stellen zur Verfügung, sondern Chemiekonzerne entwickeln im Labor, im Wettstreit um Geld und Rechte. Sie halten rund 90 Prozent des Marktes. Selbst im Biolandbau sind F1-Hybriden oder komplett pollensteriles CMS-Saatgut eher die Regel als die Ausnahme. Um natürlichem Umgang und dem Erhalt des Lebendigen eine Chance zu lassen, braucht es Finanzmittel. Dafür müssen sich alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette gleichermaßen engagieren.

Beim Kulturgutexpress 2014 wurden mit künstlerischen und sozial-dynamischen Methoden neue Herangehensweisen an das Thema Saatgut im Austausch mit den Experten gesucht und gefunden. In einer Podiumsdiskussion im Sonderzug wurden die verschiedenen Aspekte des Themas beleuchtet.

Mara Müller vom österreichischen Verein für den Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt „Arche Noah“ betont, dass Saatgut ein Kulturgut ist: „Es ist entstanden im Gespräch von Mensch und Pflanze. Die Kultur und Bedürfnisse der Menschen haben das Saatgut geprägt. Es war eine gemeinsame Entwicklung. Wie die Prozesse momentan laufen sind wir derzeit weit davon entfernt, in diesem Sinne Saatgut als Kulturgut weiterzugeben.“

Dr. Bertold Heyden, Gründer des Keyserlink-Institutes für Saatgutforschung und Getreidezüchtung im biologisch-dynamischen Anbau: „Man weiß noch nicht, wie diese Entwicklung vom Gras zum Korn, vom Samen, der aussprüht, sobald er fertig ist, zu einer Ähre, die das Korn hält, stattgefunden hat. Und das ist auch noch nicht reproduzierbar“.

Samenfestes Saatgut, das durch züchterische Methoden erhalten bleibt und nicht labortechnisch verändert ist, brauche Führung, so Christine Nagel, Gemüsezüchterin von Kultursaat e.V.. Das Wissen dazu sei aber fast verloren gegangen, auch den Ausbildungszweig im Rahmen des Gärtnerberufes gebe es nicht mehr. Die Entwicklung einer neuen Sorte, die in ihrer Lebendigkeit erhalten bleibt, brauche den Jahreskreislauf und die Erde, in zehn Schritten á zwei Jahren. Im Vergleich dazu: Eine Hybridsorte sei in zwei bis sechs Jahren „fertig“.

Auch die Finanzierungsfrage ist dabei von Bedeutung. Bisher sind Neuzüchtungen und Erhalt gängiger samenfester Sorten über Vereine und Stiftungsvermögen finanziert worden. Sebastian Bauer von der Software AG – Stiftung betont, dass zwar die vielen Spenden und das herausragende Engagement von Organisationen wie dem Saatgutfonds der GLS Treuhand wichtige Schritte in der Saatgutforschung- und Züchtung ermöglicht hätten, die Förderung aber gleichzeitig aus der „Charity-Ecke“ herausgeholt werden müsse. „Man muss es als Investition in die Zukunft sehen! Jeder Marktpartner sowie die Gesellschaft an sich, also wir als Konsumenten, sollten Interesse daran haben, die Züchtung von samenfesten Sorten im großen Stil zu ermöglichen.“

Auch Stephan Illi, der lange Jahre im Vorstand von Demeter Deutschland war, ist sich sicher, dass es nur mit dem In-Beziehung-Setzen aller Stakeholder Lösungen geben kann. Denn auch im Biomarkt kommen demnach immer mehr Produkte von hochspezialisierten Biobetrieben im In- und Ausland, die weder Konsumenten noch Ladner kennen. Außerdem glauben viele Kunden, wenn sie biologisches oder biologisch-dynamisch gezogenes Gemüse kaufen, wäre das zu 100 Prozent samenfestes Saatgut. Hier brauche es Aufklärung. „Gleichzeitig entstehen Nischen wie Solidarische Landwirtschaft und Genussscheinmodelle, in denen sich Konsumenten intensiv und solidarisch mit Bauern verbinden und mehr Qualität und Vielfalt möglich wird. Die Kunden wollen sich mitengagieren, das gilt es zu nutzen!“

Von den Mitreisenden kam die Idee, Saatgut durch eine Kulturgutabgabe zu unterstützen. So könnte finanziell Chancengleichheit hergestellt werden. Hier ist die Politik gefragt: Als schon funktionierendes Beispiel wurde die Ausgleichstaxe angeführt: in Zusammenhang mit Saatgut vorstellbar ist eine Lizenzgebühr für jene, die heute Nutznießer der Prozesse sind, die vor zehntausend Jahren in Kleinasien Mensch und Natur gemeinsam vollbracht haben.

Bio-Landbau: Vielfalt der Sorten erhalten – standortgerecht züchten!
Der ökologische Landbau stellt hohe Ansprüche an das Saatgut, da standortbedingt unterschiedliche Ansprüche nicht durch den Einsatz von synthetischen Düngemitteln, Pestiziden und Fungiziden eingeebnet werden können und sollen. Vielmehr vereint jede Sorte andere Eigenschaften, sei es die Resistenz gegen bestimmte Schädlinge, die Anpassung an geographische Gegebenheiten oder geschmackliche Besonderheiten. Nur aus dieser Vielfalt heraus können immer wieder neue Anpassungen erfolgen, z.B. an Klimaveränderungen.  Diese Vielfalt der Sorten kann nur dann sichergestellt werden, wenn Politik, Industrie, Handel und Konsumenten gemeinsam an einem Strang ziehen.  

Der Kulturgutexpress 2014 wurde anlässlich 90 Jahre biologisch-dynamische Landwirtschaft (Demeter) gestartet und ist eine Initiative von Vera Koppehel und Peter Daniell Porsche, um eine Soziale Skulptur im Beuys‘schen Sinn zum Thema Saatgut zu entwickeln. Rund 290 Menschen und viele Initiativen haben an der Zugfahrt und Tagung zu Pfingsten 2014 teilgenommen und tragen nun die Initiative für Lebendigkeit des Saatgutes und Landwirtschaft als Kulturimpuls weiter.